Zweites Kapitel. Der Prädikaten- und Klassenkalkül. Die bisherige Form des logischen Kalküls ist zur präzisen Dar- stellung derjenigen logischen Zusammenhänge ausreichend, bei denen die Aussagen als ungetrenntes Ganzes auftreten. Jedoch ist keine Rede davon, daß wir mit dem Aussagenkalkül für die Zwecke der Logik überhaupt auskommen. Nicht einmal jene einfachen Arten von Schlüssen, welche in der traditionellen Logik mit den Stichworten ‚‚barbara‘““, „celarent‘“, ‚,darii‘‘ usw. bezeichnet zu werden pflegen, lassen sich wiedergeben. Z. B. sucht man vergebens nach einer formalen Dar- stellung der logischen Beziehung, die in den drei Sätzen: ;„„Alle Menschen sind sterblich; Cajus ist ein Mensch; folglich ist Cajus sterblich.“ zum Ausdruck kommt. Der Grund hierfür ist, daß es bei Schlüssen dieser Art nicht nur auf die Aussagen als. Ganzes ankommt, sondern daß die innere logische Struktur der Aussagen, die sich sprachlich durch die Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat ausdrückt, eine wesent- liche Rolle spielt. Durch diese Erwägungen werden wir dazu ver- anlaßt, den Kalkül oder wenigstens seine inhaltliche Bedeutung zu ändern und den sogenannten Prädikatenkalkül einzuführen. $ 1. Inhaltliche Umdeutung der Symbolik des Aussagenkalküls im Sinne des Prädikatenkalküls. Wir gebrauchen im Prädikatenkalkül die gleichen logischen Zeichen wie im Aussagenkalkül. Unter X, Y, Z ... sollen aber jetzt nicht mehr ganze Aussagen verstanden werden, sondern Prädikate. Z. B. kann X eine Bezeichnung sein für das Prädikat ‚„ist sterblich‘““ oder ‚ist teil- bar‘“ oder ‚‚hat eine Ursache‘“‘. Ist X irgendein Prädikat, z. B. ‚„ist schön‘‘, so soll unter X das gegenteilige Prädikat ‚ist nicht schön‘“ verstanden werden. Stellen X, Y bezüglich die Prädikate ‚,ist vergänglich‘‘, ‚,besitzt Erkenntnis‘“ dar, so ist X& Y das Symbol für das Prädikat ‚‚ist vergänglich und besitzt Erkenntnis‘‘, X v Y das Symbol für „ist vergänglich oder be- sitzt Erkenntnis‘. Die anderen logischen Zeichen können wir wieder als Abkürzungen benutzen.