30 Der Aussagenkalkül. Die angegebene Definition der Widerspruchsfreiheit macht eine Erläuterung notwendig. Es wird hier scheinbar ein bestimmtes logisches Prinzip, nämlich der Satz vom Widerspruch, vor den anderen Prinzipien ausgezeichnet. In Wirklichkeit ist es aber so, daß das Auftreten eines formalen Widerspruchs, d.h. die Beweisbarkeit zweier Formeln %, X den ganzen Kalkül zur Bedeutungslosigkeit verurteilen würde; denn wir hatten schon früher bemerkt, daß, wenn zwei Aussagen von der Form % und %{ beweisbar sind, für jede beliebige andere Aussage das- selbe gelten würde. Die Widerspruchsfreiheit des Kalküls im Sinne der Definition ist also gleichbedeutend damit, daß nicht jede beliebige Formel beweisbar ist. Um die Widerspruchsfreiheit des Kalküls einzusehen, verfahren wir in folgender Weise: Wir fassen die Aussagezeichen - X, Y Z, .. ‚als. ariıthmetische Variable auf, für welche nur die Werte 0, 1 in Betracht kommen. XvY deuten wir als das arithmetische Produkt, und X erklären wir so, daß 0 gleich 1 und 4 gleich 0 ist. Auf Grund dieser Interpretation stellt jede Aussagenverbindung. eine arithmetische Funktion der Grund- aussagen dar, welche nur die Werte 0 oder 1 haben kann. Ist diese Funktion identisch gleich 0, so wollen wir der Kürze halber auch von dem symbolischen Ausdruck sagen, daß er:identisch gleich ‚0 ist. An Hand der gegebenen Deutung können wir nun eine gemein- same Eigenschaft aller derjenigen Formeln angeben, die sich aus unseren Axiomen ableiten lassen. Diese besteht darin, daß auf .Grund der arithmetischen Interpretation die Formeln für jedes in Betracht kom- mende Wertsystem der Variablen den Wert 0 ergeben, daß sie also identisch gleich 0 sind. Daß diese Eigenschaft zunächst den Axiomen a)—d) zukommt, machen wir uns folgendermaßen klar: Wir stellen durch Probieren fest, daß X v X immer den Wert 0 hat. Daraus folgt, daß auch XvXvX [Axiom a)] stets gleich 0. ist, weil X v X immer denselben Wert hat wie X. — Ferner hat X(XY) [Axiom b)] denselben Wert wie (X v X)Y wegen der Assoziativität des arithmetischen Produktes. Es ist also stets 0, weil 0 v Y stets gleich 0 ist. Da Y v X stets den gleichen Wert hat wie X v Y,soist Xv Yv(YvX) als Spezialfall von XX stets gleich 0. Formel c) ergibt also stets den Wert 0. Endlich gilt dasselbe für die Formel Q FürıZ = O.istnäm- lch en Paktor e nd düc / Z = 1 hat ZvX.. denselben Wert wie X, ZvY denselben Wert wie Y, so daß die ganze Formel denselben Wert ergibt wie XYXY, was wieder ein Spezialfall von XX ist. Die Formeln der vier Axiome haben also in der Tat alle Cie genannte Eigenschaft. Bei der Anwendung der beiden in Betracht kommenden Regeln für die Ableitung neuer Formeln, nämlich der Einsetzungsregel und des Schlußschemas bleibt aber diese Eigenschaft immer erhalten.