Aus der Geschichte der Himmelskunde. 255 Parallel mit diesen Errungenschaften, welche dem bisher wenig beachteten Zweige der Himmelskunde — der Astrophysik — einen der theoretischen Astronomie völlig gleichwerthigen Rang verschafften, entwickelte sich die optisch-mechanische Hilfstechnik in rapid fortschreitender Weise, welche zunächst in der Con- struction jener gewaltigen Sehwerkzeuge Ausdruck fand, welche wir an anderer Stelle dieses Werkes kennen gelernt haben. Aber nicht nur bezüglich der Dimensionirung der Instrumente erscheint der Fortschritt gegen früher ungeheuer, sondern zu- gleich in der Art, wie die instrumentale Ausrüstung des Astro- nomen durch die kaum mehr zu überbietende Präcision und ingeniöseste Anpassung an die theoretischen Forderungen auch die rein wissenschaftliche Arbeit gegen jene in früherer Zeit ganz wesentlich erleichtert. Auch nach dieser Richtung haben wir Alles, was von Wichtigkeit ist, dem Leser in Wort und Bild vermittelt. Die Planetographie verdankt diesem Umstande einige werthvolle Bereicherungen. Das mächtige, zßzöllige Fernrohr des Observatoriums zu Washington ermöglichte es A. Hall am 11. August 1877, den äusseren, grösseren Satelliten (Deimos) des Mars, am 17. August den inneren, kleineren (Phobos) zu entdecken, Weltkörper von so geringen Dimensionen, dass es erklärlich erscheint, wenn sie sich bis dahin der Wahrnehmung entzogen. Schon Kepler hatte die Nähe des Planeten abgesucht, ob nicht ein Trabant doch überliess er mir freundlichst dasselbe für diesen Abend, und ich hatte die Freude, meine Entdeckung durch neuerliche Beobachtungen zu verificiren und den Abstand des neuen Trabanten während seiner grössten Elongation von Jupiter genau zu messen. In dieser und in der folgenden Nacht gelang es mir, Abstände des Trabanten von dem ihm in der scheinbaren Bewegung folgenden Rande der Pianetenscheibe zu messen. Am 12. September brachte ich im Fernrohre ein sorgfältig berusstes Stückchen Glimmer an, welches den Pla- neten verdecken sollte. Diese Vorrichtung leistete treffliche Dienste; ich konnte den Planeten, dessen Licht nun sehr abgeschwächt war, zugleich mit dem neuentdeckten, so lichtschwachen Satelliten sehen und die Messungen seiner Abstände leicht und sicher ausführen.« Die ausgezeichneten optischen Hilfsmittel der Gegenwart gestatteten auch eine sorgfältigere Untersuchung der Oberflächen- beschaffenheit der anderen Planeten. Es wurde das aschfarbene Licht bei Mercur und Venus beobachtet, die Erscheinungen von Flecken genau untersucht und darnach Schlüsse bezüglich der Rotationsdauer dieser Planeten gezogen, wobei vornehmlich der verdienstvolle Astronom der Mailänder Sternwarte, G. Schia- parelli, zu der Ansicht sich hinneigte, dass bei beiden Planeten die einmalige Achsendrehung mit deren Umlauf um die Sonne zusammenfalle, was bezüglich der Venus von anderen Astro- nomen bestritten worden ist. Auch in der Kenntniss des Saturn- systems sind Fortschritte zu verzeichnen, und ist es von Interesse, wahrzunehmen, wie immer wieder neue, wenn auch sehr feine Fig. 537- Friedrich Wilhelm Bessel (1784—1846). Fig. 538. Pierre Jules Cesar Janssen. G. ff- JB. | ■* WW ....... 3 L ' 1 vorhanden sei. W. Herschel beobachtete ebenso erfolglos. Gelegentlich der Opposition von 1864 machte d’Arrest in Kopenhagen die Jagd nach dem Marsmonde zu einem umfassenden Specialstudium. Als Resultat sprach er es auf das Allerbestimmteste aus, dass hier jede Mühe verloren sei. Sie war es indess nicht, dank den verbesserten optischen Hilfsmitteln. Aehnlich verhält es sich mit dem von E. E. Barnard am Lick-Obser- vatorium entdeckten 5. Jupitermond am 9. September 1892. In einem Stern- chen 13. Grösse, welches im strahlenden Glanze des Planeten verschwand, war ein bisher unbekanntes Glied im System des Jupiter entdeckt worden. Die Auffindung möge nach der Schilderung des Entdeckers, welche das Ver- fahren der Astronomen in solchen Fällen, wo es sich um die Wahrnehmung von Lichtpünktchen in der unmittelbaren Nähe sehr heller Objecte handelt, sehr gut vor Augen führt, erzählt werden. . . . »Seit dem 1. Juli 1892 stand mir — schreibt Barnard — der gözöllige Refractor für eine Nacht in jeder Woche zur Verfügung. Ich benützte das Instrument zur Aufsuchung neuer Himmelskörper. Am 9. September — bis dahin fand ich nichts Wichtiges — betrachtete ich genau die Umgebung Jupiters und bemerkte hierbei ein un- gemein lichtschwaches Sternchen, welches dicht bei dem Planeten und in der Nähe seines dritten Satelliten stand. Ich vermuthete in ihm sofort einen bisher unbekannten Trabanten und bestimmte seinen Ort durch Messungen seiner Lage gegen den dritten Satelliten. Dann versuchte ich Messungen seines Ab- standes vom Jupiter zu machen, fand aber, dass ein Messfaden des Mikrometers zerrissen und der zweite schlaff geworden war. Bevor etwas Weiteres ge- schehen konnte, verschwand das Sternchen in den Strahlen des Jupiter. Obwohl ich nun der Ueberzeugung war, dass ich es hier mit einem bisher unbekannten Trabanten des Jupiter zu thun hatte, konnte die Ent- deckung gleichwohl nicht bekannt gemacht werden, weil mir blos eine Mes- sungsreihe gelungen war und diese nicht als ein ausreichender Beweis einer solchen Entdeckung zu gelten brauchte. Am nächsten Morgen brachte ich das Mikrometer in Ordnung. In der bevorstehenden Nacht sollte programmmässig Professor Schaeberle das grosse Fernrohr zu seinen Arbeiten benützen, Theihmgen im Ringsystem dieses Planeten entdeckt werden, wodurch die Ansicht, dass die Ringe als Schwärme lose ange- häufter, fester Körperchen anzusehen seien, immer mehr an Stütze gewinnt. Epochemachend sind die Marsforschungen G. Schiaparelli’s geworden. Nachdem dieser erfolgreiche Beobachter im Jahre 1866 die Welt mit seiner Theorie von dem gemeinsamen Ursprünge der Sternschnuppen und Kometen überrascht hatte, folgte dessen sensationelle kartographische Darstellung der Marsoberfläche (1877), welche ungeahnte Einblicke in die physische Natur dieser uns benachbarten Welt erschloss und das nachhaltigste Interesse auch in solchen Kreisen erweckte, welche der Himmelskunde sonst fernestehen. Camille Flammarion, ein um die Popula- risirung der Himmelskunde hochverdienter Forscher, ergänzte in einem Specialwerke die Forschungen Schiaparelli’s, wo- durch die physischen Verhältnisse auf den benachbarten Pla- neten jedem Gebildeten geläufig wurden. Damit erhielt natürlich auch die Speculation neue Impulse, und als eine Frucht derselben kann Flamm ar ion’s Werk: »Das bewohnte Weltenall« ange- sehen werden, das bis 1894 in der französischen Originalausgabe 31 Auflagen erreichte. Gross vor Allem sind die Fortschritte auf dem Gebiete der Son- nenphysik. Dank den gewonnenen neuen vorzüglichen instrumen- talen Hilfsmitteln konnten die totalen Verfinsterungen der letzten Jahre zu entscheidenden Beobachtungen ausgenützt werden, wobei i — wie der Leser weiss — der Photographie eine hervorragende