254 Aus der Geschichte der Himmelskunde. Fig- 535- Karl Friedrich Gauss auf seiner Sternwarte zu Göttingen (1777—1855). Bessel, der 1840 die Parallaxe des Sterns 61 im Schwan be- rechnete und damit seine Entfernung fand, zeichnete sich so- wohl in der Beobachtung als in der Berechnung der Resultate durch eine Schärfe aus, die vor ihm Niemand erreicht hat. Die gleichen Eigenschaften bethätigte der ältere Struve, der von 1813 an als Astronom der Sternwarte in Dorpat mit der Messung der Doppelsterne begann. Er bediente sich hierzu vorerst eines Meridiankreises, bis 1824 der grösste damals existirende Fraunh ofer’sche Refractor aufgestellt wurde. Jetzt erst begann die eigentliche Arbeit, und sie wurde unablässig durch zwölf Jahre fortgesetzt. Die Frucht dieser bewunderungswürdigen Thatkraft eines einzelnen Mannes war das epochemachende Werk: »Stellarium duplicium et multi- plicium etc.«-, welches 1837 erschien und noch für späte Zeiten den Ausgangspunkt aller die doppelten und mehrfachen Sterne betreffenden Untersuchungen bilden wird. Dieser Leistung lässt sich bezüglich der eisernen Consequenz in ihrer Durch- führung vielleicht nur Argelander’s Mappirung der Fixsterne bis zur 9-5 Grössenclasse an die Seite stellen. — Ein anderer verdienstvoller Beobachter des Fix- sternhimmels ist Heis, dessen scharfes Auge berühmt war. Ihm verdankt man die einzige auf zeich- nerischem Wege gewonnene cor- recte Darstellung der Milchstrasse der nördlichen Halbkugel. Die betreffende Zeichnung befindet sich in dessen »Atlas coelestis novus«. In einer überaus merkwürdi- gen Abhandlung über die Parallaxe der Fixsterne versuchte Peters Mittelwerthe für die Sterne zweiter Grösse zu gewinnen. Er stützte sich hierbei auf 35 Sterne, die in den Dorpater Beobachtungen von 1818 bis 1821 positive Werthe für ihre Parallaxen gegeben hatten, welche die wahrscheinlichen Fehler um ein Vielfaches übertrafen. Von diesen Sternen wurden zwei (61 Schwan und 1830 Groombridge) wegen ihrer grossen Eigenbewegungen als Aus- nahmen betrachtet und ausgeschie- den. Eine scharfsinnige Untersu- chung ergab dann aus den übrigen 33 Werthen, dass die mittlere Pa- rallaxe der Sterne zweiter Grösse zu o’iiö" + o‘oi4 anzunehmen ist. 1 Fig. 53^’ Earl of Rosse (1800—1867). ■ -ol Mit der Grün- dung der Sternwarte zu Pulkowa setzte W. Struve seine Thätigkeit liier fort, und sie ging später auf O. Struve über, dessen Arbeiten, ins- besondere seit Auf- stellung des 3ozölligen Repsold’schen Re- fractors, eine gross- artige Ausgestaltung des vor Jahrzehnten begonnenen Werkes bedeuten. In der Zeit von 1864—1889 pub- licirte die genannte Sternwarte 63 Schrif- ten über Stellar-Astro- nomie, von meist hervorragendem Wer- the. ... In Deutsch- land verdankt man eine ähnliche Leistung Karl Eduard Krü- ger (1832—1896), der an der Bonner Stern- warte in Gemeinschaft mit Argeiander und seinem Studiengenos- sen Eduard Schönfeld (der später Argelander’s Nachfolger wurde) an der Fortsetzung des grossen Sternverzeichnisses, welches die Orts- und Helligkeitsbestimmungen von etwa 300.000 Fixsternen der nördlichen Himmelssphäre bis zu den Sternen 9. Grösse herab enthält und unter dem Namen der »Bonner Durchmusterung« bekannt ist, arbeitete. Dieses für die Fixstern- kunde epochemachende grossartige Werk wurde unter Krüger’s und Schönfeld’s Mitwirkung, welche beide mit unermüdlichem Eifer und selbstloser Hingabe ihrer Aufgabe sich widmen, glück- lich vollendet. Die Astronomie der Gegenwart steht im Zeichen zweier Hilfstechniken, deren Anwendung ganz neue Specialgebiete astro- nomischer Forschung und Beobachtung eröffnete. Es sind dies, wie der Leser unschwer erräth, die Spectralanalyse in ihrer Anwendung auf die Gestirne und die Himmelsphotographie. Die Bereicherung, welche das astronomische Wissen durch sie erfahren, ergiebt sich aus den Mittheilungen, welche in diesem Werke hierüber in zum Theil weitläufiger Weise gemacht wurden. Wir erinnern zunächst an den Entwickelungsgang, den die photographische Technik in Bezug auf ihre Anwendung in der Himmelsforschung genommen, wie sie allmählich als unentbehrliches Hilfsmittel sich ausgestaltete, die Oberfläche des Mondes mit einer Fülle topographischer Details uns graphisch vermittelte, schwer zu constatirende Gestaltverhältnisse — wie bei den Kometen und Nebeln — auf der Platte festhielt und in Verbindung mit der spectral- analytischen Untersuchung der Gestirne die werthvollsten Dienste leistete. Bei der Anwendung der Photo- graphie zu Mappirungen des Fix- sternhimmels zeigte es sich, dass die lichtempfindliche Platte unge- zählte Mengen von Gestirnen dem menschlichen Auge vermittelte, dem dieselben selbst bei Benützung der grössten und schärfsten optischen Mittel niemals zur Wahrnehmung gelangt wären, da es sich hier um die chemische Wirkung sehr schwachen oder ultravioletten — also überhaupt nicht sichtbaren — Lichtes handelt.