46 Aus der Geschichte der Himmelskunde. in der Geschichte der Himmelskunde als das »Tychonische System« eingeführt, aber ohne alle Bedeutung geblieben ist. Da es erst einige Jahre nach dem Tode seines Urhebers, in der Ausgabe von dessen gesammten Schriften, nicht aber vorher, in Druck erschienen war, tauchten nach- mals Zweifel über die Echtheit des dies- bezüglichen Elaborates auf, umsomehr, als ein gewisser Ursus, Schüler Tycho’s, das System als sein geistiges Eigenthum recla- mirte. Dies erscheint bei der Art, wie Tycho zu arbeiten pflegte, begreiflich; er soll nämlich vielfach nur Ideen ent- wickelt und die Ausarbeitung derselben seinen Schülern übertragen haben. Den- noch erscheint jeder Zweifel nach dieser Richtung ausgeschlossen, da der sterbende Tycho seinem Freunde und Mitarbeiter Johannes Kepler die Vertretung seines Systems ganz besonders ans Herz legte. Und worin besteht das Tycho- nische System? Es nahm die Erde als unbeweglich im Mittelpunkte des Weltraumes an; alle Planeten haben die Sonne zum Centrum ihrer Kreisbahnen, die Sonne selbst aber mit ihrem gesammten Planeten- gefolge bewegt sich um die Erde, welch letztere derMond umkreist. Aus den Schriften Tycho’s geht ferner hervor, dass sich derselbe von den PtolemäischenEpicyklen keineswegs befreit hat, und so kam ein System zusammen, welches demjenigen des Alexandriners an Complicirtheit fast gleichgestellt war, in Be- zug auf praktische Brauchbarkeit aber jenem weit zurückstand. Es ist wunderlich genug, zu hören, dass die Sonne Schrauben- gänge von ungleicher Weite um die ruhende Erde beschreibe, und die Planeten in ihrer Bewegung um die Sonne alle diese Schraubengänge mitvollführen sollten! Keine logische An- knüpfung vermöchte dieses phantastische System mit den her- vorragenden Arbeiten des grossen beobachtenden Astronomen in Einklang zu bringen, wenn man sich nicht der Erwägung hingiebt, dass die Charaktereigenschaften Tycho’s — Eitelkeit, Ehrgeiz, Unduldsamkeit — in dieser Verirrung eine Rolle spielten. Mit welchen Gefühlen Tycho dem Schauspiele gegen- überstand, als ein Jahr vor seinem Tode, am 17. Februar 1600 auf dem Campo di Fiore in Rom die Flammen des Scheiter- haufens über dem geistvollen Philosophen Giordano Bruno, der für die Copernicanischen Ideen eingetreten war, zusammen- schlugen, ist nicht zu ergründen. Das endgiltige Urtheil der Curie über den Mann, der die Sonne stille stehen hiess, erlebte Tycho freilich nicht; denn erst 1616 wurde das Werk des Coper- nicus als ein ketzerisches erklärt und das Verdammungsurtheil über dasselbe abgegeben. Die unmittel- bare Veranlassung hierzu gab Ga- lileo Galilei. Es ist ein bemerkenswerther Zufall, dass mit der Neugeburt der wissenschaftlichen Astronomie in- nerhalb eines verhältnissmässig eng- begrenzten Zeitraumes die grossen Bahnbrecher sich unmittelbar anein- anderreihen. Auf C op er nicus folgte Tycho Brahe, auf diesen — zum Theil noch mit ihm gemeinsam wirkend — Johannes Kepler (1571 —1630), der, 29 Jahre nach Galileo Galilei (1542 boren, Jahre sieht, neuen hierbei fiel Kepler die bedeutsame Rolle zu, durch persönliche Bezie- hungen zu dem älterenVorgänger und dem jüngeren Nachfolger, die Ideen dieser Männer geistig zu verknüpfen. Damit ist Kepier’s Stellung in der Geschichte der Himmelskunde Fig. 520. Tycho Brahe (1546 — 1601). -1642) ge- von letzterem noch um zwölf überlebt wurde. Wie man waren die drei Grössen der Astronomie Zeitgenossen; Fig. 521. Johannes Kepler (1571 —1630). gekennzeichnet. Im Jahre 1571 in Weil-der-Stadt in Schwaben gebo- ren, der, da er ein Siebenmonatkind und schwächlich war, in Plato’s Musterstaat nicht hätte leben dür- fen, war der Begründer der theo- retischen Astronomie, wie lycho der Neubegründer der beobachten- den Astronomie. Dem Dritten im Bunde — Galilei — war es Vor- behalten, durch Verbindung der Astronomie und der Physik, der physischen Astronomie zu bahnen. den Weg Knabe die und studirte Kepler besuchte als Klosterschule zu Maulbronn später in Tübingen, wo er die Magister- würde errang. Schon als Student wurde er vom Magister Möstlin für die Copernica- nische Weltordnung gewonnen und warf sich von da ab mit Leidenschaft auf astro- nomische Studien. Im Jahre 1597 wurde er nach Graz berufen, wo er einen Kalender und das Werk »Prodromus Mysterii cosdio- graphici*. herausgab. Die mystische V er- anlagung, die sich bei Kepler in jungen Jahren zeigte, hat er selber in spöttelnder Weise als eine künstlich gezüchtete ge- kennzeichnet. Er beklagte sich, von amts- wehen den Marktschreier zu machen, und nach damaliger Sitte, des lieben Brotes wegen, astrologische Prophezeiungen über den Einfluss der Gestirne auf Witterung und Menschen zusammenzuschreiben. Nicht ohne versteckten Grimm machte er sich über diese »Praktiken« lustig. Obwohl nun mehrere von Kepler im vorstehenden Sinne gemachten Prophezeiungen sein Ansehen hoben, brachten es dennoch die Religionswirren mit sich, dass er die Steiermark verlassen musste (röoo). Durch Tycho dem Kaiser Rudolf II. empfohlen, wurde Kepler nach Prag berufen und als kaiserlicher Mathematicus angestellt. Das Einver- nehmen mit Tycho, mit dem er auf Schloss Benatek gemeinsam arbeitete, wurde durch Tycho’s herrisches Wesen empfindlich gestört, doch gelang es Mittelsmännern, die beiden Freunde wieder zusammenzubringen. Nach Tycho’s Hinscheiden (1601) wurde Kepler Verti auensperson des Kaisers und diesem, obwohl der kaiserliche Mathematicus den Freimuth hatte, die astrologischen Irrlehren offen zu bekämpfen, unentbehrlich. Nach der Ab- setzung Rudolf II. wurde Kepler von Kaiser Mathias in seinem Amte be- stätigt. Unter Kaiser Rudolf entwickelte Kepler durch ein volles Jahrzehnt eine überaus fruchtbare literarische Thätigkeit. Um diese Zeit reifte die Voll- endung der »Varalipomena ad Vittelionem* heran. Zugleich erschien das Werk Kepler’s über Optik, welches allgemeines Aufsehen erregte. Es war vornehm- lich dieses Werk, welches ihn mit Galilei in Beziehung brachte. Im Jahre 1604 erschienen »Sylvae chronoloyicae*, ein Jahr darauf die Abhandlung »He Stella nove in pede serpentarii«, alsdann die »Conimenlaria de motibu» »telae Marti»* und schliesslich das Hauptwerk » Astronor.iia nova x. phyxüa coeleshs«. Als nach der Entthronung des Kaisers Rudolf die Verhältnisse in Prag für Kepler sich sehr ungünstig gestalteten, übersiedelte er nach Linz in Ober- österreich, wo er eine Professur bekleidete, bis die Religionswirren ihn — den Prote- stanten — auch von hier vertrieben. Be- kannt ist sein Eingreifen in den Hexen- process, den man gegen seine Mutter an- gestrengt hatte, und die er in aufreibenden Vertheidigungsschriften vor dem Flammen- tode rettete. Seit 1626 lebte er mit seiner Familie bei einem Freunde in Ulm, zuletzt begab er sich nach Regensburg, wo er beim Reichstage seine rückständige Besol- dung eintreiben wollte, ohne indess etwas zu erreichen. Gebrochen an Körper und Geist verschied daselbst der grösste deut- sche Astronom am 15. November 1630. In neuester Zeit ist dem berühmten Manne in seiner Geburtsstadt Weil-der-Stadt ein prächtiges Denkmal errichtet worden. Seine hinterlassenen Handschriften gingen durch verschiedene Hände, bis Michael Hansch 1718 mit kaiserlicher Unterstützung den ersten Band herausgab. Eine Ausgabe der Gesammtwerke Ke pler’s wurde 1858 — 1871 durch Frisch besorgt. Das Hauptziel seines Strebens hatte Kepler nach 2 2j'ähriger un- unterbrochener Arbeit im Jahre 1619 erreicht: Die mathematische Beweis- führung der Bewegungserscheinun- gen der Planeten auf Grundlage des Copernicanischen Systems. Diese epochemachende Errungenschaft ist in den drei Cardinaisätzen zusammen- gefasst: 1. Die Planeten bewegen