Aus der Geschichte der Himmelskunde, 243 Fig. 514. Hipparch’s System. 6» Äy ' 77~7/ V 777z ^^'7 Bf I die Geschichte es wahr ist, dass schon Anaximander, der Schüler des Thales, die Kugelgestalt der Erde und des Mondes erkannt habe, dann darf man sich billig wundern, dass die »Erdscheibe« sich noch so lange Zeit hin- durch behaupten konnte. Von Aristoteles (um 350 v. Chr.) indess weiss man bestimmt, dass er die Ansicht von der Kugelgestalt der Erde vertrat und die wahre Ursache der Mondesfinsternisse gekannt hatte. Das konnte dem grossen Philosophen allerdings nicht schwer fallen, da schon etwa dritthalb Jahrhunderte vor ihm Thales eine Sonnen- finsterniss vorhergesagt hatte. Aber noch war alles verworren und der Speculation der weiteste Spielraum gegeben. In die Zeit um 300 v. Chr. fällt ein für der Wissenschaften denkwürdiges Ereigniss — die Gründung der Akademie in Alexandrien durch den König Ptolemäos So ter. Damit begann die wissenschaftliche Periode der Himmels- kunde. Viele von den nach Alexandrien geladenen Gelehrten waren dem Rufe gefolgt, andere, die aus zwingenden Gründen fernblieben, unterhielten lebhafte Beziehungen mit den alexan- drinischen Collegen. Im Jahre 294 v. Chr. beobachtete Timo- charis eine Sternbedeckung durch den Mond. Aristarch von Samos (um 260 v. Chr.) lehrte, dass die Achsendrehung der Erde in 24 Stunden erfolge und in einem schiefen Kreise um die Sonne sich bewege. Das hatte freilich schon vor ihm Ana- ximander gewusst, desgleichen die Lage der Himmelspole, die Aequinoctial- und Solsticialpunkte u. s. w. Dagegen misslangen Aristarch’s Versuche, die Entfernungen der Sonne und des Mondes zu berechnen. Ein weiterer Fortschritt war es, als Eratosthenes Instrumente ersann, mittelst welchen er dieDurch- gänge der Sterne durch den Meridian bestimmen konnte. Er ermittelte ferner die Oerter von 675 Fixsternen und bewerk- stelligte die erste Gradmessung zwischen Alexandria und Syene (hinter Assuan). Mit Eudoxus und seinem System der »mate- riellen Sphären« aber kam der Rückfall in die alte Phantastik. Alle Planeten, Sonne und Mond hatten Kugelschalen, an wel- chen sie angeheftet waren; den Fixsternen gemeinsam war die -»Octava Sphaera«. Diese Zwiebelschalen-Hypothese erhielt sich bis in das 15. Jahrhundert hinein und zur Zeit des Fracastor zählte man nicht weniger als 70 solcher materieller Sphären. Das 2. Jahrhundert v. Chr. nennt den grössten Astronomen des Alterthums den seinen — Hipparchus von Nikäa. Er ver- fasste einen Sternkatalog, wozu er durch das Erscheinen eines neuen Sternes veranlasst wurde. Der Katalog sollte die Grund- lage zur Controle solcher Erscheinungen bieten. Seine grösste Leistung aber ist die Erfindung der ebenen und sphärischen Irigonometrie, mit deren Hilfe er Instrumente ersann, die ihm ermöglichten, Beobachtungen von bewunderungswürdiger Prä- cision anzustellen. Als Hipparch die Länge der Fixsterne in Bezug auf den Aequinoctialpunkt verglich, fand er sie um 20 grösser als von Timochares und Aristyll im Jahre 294 v. Chr. bestimmt worden war. Ein noch bedeutenderer Unterschied zeigte sich bezüglich der Beobachtungen des Eudoxus. Es ergab sich, dass, wenn die Fixsterne so fortführen, in Bezug auf die Nachtgleichen vorzurücken (Präcession) — oder, was das- selbe ist, auf die Aequinoctialpunkte zurückzubleiben — sie in etwa 25.700 Jahren einen vollständigen Umlauf im Sinne der Ekliptik machen würden. Dieser Cyclus erhielt den Namen des »platonischen Welt- jahres«. Natürlich sahen die alten Astrono- men in dieser Erscheinung eine wirkliche (nicht scheinbare) Bewegung der Fixsterne und erhielt sich diese Auffassung bis auf Copernicus. Wenn man von den Sphären des Eu- doxus absieht, war Hipparch — der, beiläufig bemerkt, über 1000 Fixsterne in 48 Sternbilder gruppirte — der Erste, der ein auf mathematischer Grundlage fassen- des »Sonnensystem« aufgestellt hatte. Den Alten machte es von Anbeginn her grosse Schwierigkeiten, sich die ungleichmässig schnelle Bewegung der Himmelskörper in ihrem (gedachten) Laufe um die Erde aus- reichend zu erklären. Das zeitweilige Still- stehen der Planeten oder nun gar ihre rückläufige Bewegung erschienen ihnen vollends unfassbar. Hipparch durchhaute den Knoten, indem er ein System von Kreis- bahnen aufstellte, welches den fraglichen Bewegungen entsprach, war aber ehrlich genug, zu sagen, dass er keineswegs an dieThatsächlickeit seiner Darstellung glaube, wenngleich sie sich der Bewegung der Himmelskörper anpasse. Diese scheinbare Anpassung erzielte Hipparch dadurch, dass er aufstellte, die Planeten bewegten sich mit gleichmässiger Geschwindigkeit in dem Umfange kreisförmiger Reifen, deren Centren ebenfalls mit unveränderter Ge- schwindigkeit Kreise um die Erde be- schrieben. Ein solcher Reif wurde »Epi- in welchem der Mittelpunkt des Reifes seine Deferent« genannt. Die cykel«, dei* Kreis, fortschreitende Bewegung vollführte, Figur 514 veranschaulicht dieses System. Da, wie erwähnt, Hipparch selbst seiner Sache nicht sicher war, gab er sich der Erwägung hin, dass die Erde mög- licherweise nicht im Mittelpunkte der Sonne, sondern excen- trisch stehe, in welchem Falle sich dann der Sachverhalt, dass die Bewegung der Sonne im Perigäum eine scheinbar schnellere sei als im Apogäum, ganz ungezwungen erklärte. Da aber beim Monde das Perigäum desselben nicht wie das der Sonne immer an derselben Stelle des Himmels eintritt, sondern den 1 hierkreis von West nach Ost durchwandert, musste Hipparch für ihn demgemäss einen Deferenten, und zwar einen excentrischen, und ein Epicykel aufstellen, was das System keineswegs vereinfachte. Dennoch verdient das Streben Hipparch’s, der Wahrheit auf den Grund zu kommen, und die scharfsinnige Art, mit der er Beobachtungen und Berechnungen in Einklang zu bringen suchte, die höchste Anerkennung. Unter seinen Nachfolgern ist zunächst Posidonius zu nennen, der zuerst den Versuch anstellte, die Entfernungen von Sonne und Mond zu bestimmen, hierbei jedoch Werthe erhielt, welche bezüglich des Mondes um ein Achtel, bezüglich der Sonne um die Hälfte zu klein waren. Posidonius war auch dem Ge- setze der Refraction auf der Spur, aber erst Cleomedes (beide Astronomen lebten in Rom) war so glücklich, dasselbe zu er- mitteln. . . . Alsdann trat die letzte grosse Leuchte der alexan- drinischen Schule auf den Plan: Claudius Ptolemäos. Er ver- einigte seine Arbeiten mit denen seiner Vorgänger in einem Werke, das bald unter dem Namen »Syntax* oder »Magna con- structio*, am meisten aber unter dem ihm später von den Arabern gegebenen Namen »Almagest* bekannt wurde und zwischen 150 bis 160 n. Chr. vollendet worden zu sein scheint, da die späteste der in dieses Werk aufgenommenen Beobachtungen eine die Venus betreffende aus dem Jahre 151 ist. Das Ptolemäos sehe Werk lehrte in 13 Büchern: 1. Die Kugelgestalt der Erde; 2. die Eintheilung der Erde in Zonen, die lageslängen und mittäglichen Schattenlängen, sowie die Erscheinungen des Auf- und Unter- ganges; 3. die Länge des Jahres; 4. die Länge des Monats; 5. den Gebrauch des Astrolabiums; 6. Conjunction und Oppo- sition von Sonne und Mond, sowie die Bedingungen der Finster- nisse; 7. und 8. die Fixsterne, Tag- und Nachtgleichen; 9. bis 13. Planeten. Trotz dieser hervorragenden Verdienste des Ptolemäos für die Wissenschaft, gelang es ihm nicht, die Gesetze der Bewegungen bezüglich der Planeten u. s. w. zu erforschen, sondern gab der Hipparch- schen Fassung eine noch complicirtere Ge- stalt. Da Hipparch’s Mondbeobachtungen, beziehungsweise die darauf gestützten Er- klärungen, nur für die Zeiten des Ä oll- und Neumondes, nicht aber für die Zeiten der Viertel ausreichten, suchte er nach einem entsprechenden Erklärungsgrunde und fand hierbei keinen besseren, als den von seinem Vorgänger als fix gedachten Mittelpunkt des Deferenten beweglich zu machen; er wies ihm zu dieser Bewegung einen Kreis um die Erde an, den »Abgleicher«. Auf Basis der diesbezüglichen Berechnungen stimmte Alles in vollkommener Weise — eine drastische Illustration zu dem Eingangs gegebenen Gleichniss von dem Irrenden im Walde. Der Irrthum hing an einer