Der Mond. 22 I Die Schmidt’sche Mondkarte, auf welcher i Millimeter = 1782-2 Meter der Natur ist (1 geographische Meile = 4-16Milli- meter), steht in Bezug auf Feinheit der Zeichnung derMaedler- schen nach. Hinsichtlich ihrer Genauigkeit basirt sie — wie erwähnt — auf Lohr man n’s Positionsbestimmungen, welche aber — wie L. Weinek bemerkt — für einen so grossen Mass- stab (Schmidt giebt 25.678 Ringgebirgsformen mehr als Lohr- mann) zu wenig zahlreich sein dürften, unbeschadet der Zuver- lässigkeit und Sorgfalt der Beobachtungen Schmidt’s. Dieser selbst hat 3050 Höhen von Mondbergen gemessen. An Rillen hat er 278 entdeckt und alle Formationen dieser Art in einer speciellen Schrift besprochen. Heber Schmidt’s Beobachtungen der Veränderungen des Kraters »Linne« im Mare Serenitatis war an anderer Stelle die Rede. Schmidt überlebte sein grossartiges Mondwerk 10 Jahre; er starb, 59 Jahre alt, am 7. Fe- bruar 1884 zu Athen, dem Orte seiner epochemachenden Thätigkeit. Ungefähr um dieselbe Zeit, in welcher Schmidt mit seinen Vorarbeiten zu dessen grosser Mondkarte fertig geworden war und letztere in Angriff nahm, erwachte in englischen astronomischen Kreisen ein leb- hafteres Interesse für diesen Gegenstand. Zunächst fasste die »British Astronomical Association«, den Plan, einer besonderen Commission das Studium und die zeichneri- sche Wiedergabe der Mondoberfläche zu überantworten. In dieser Commission fun- girte der verdiente Mondbeobachter Birt als Secretär und wurde derselbe nach- mals der Begründer der »Selenographical Society«. Leider sind von den 1600 Sectionen der von der genannten Commission in Angriff genommenen Mondkarte (Durch- messer — 100 englische Zoll = 2-54 Meter) bislang nur 3 (zu je 5" im Quadrat) fertig- gestellt worden. An eine Fortsetzung des Werkes ist, angesichts der rapid fortschrei- tenden photographischen Technik, welche der Selenographie einen ganz veränderten Cours gegeben hat, wohl nicht mehr zu denken. Mit den vorerwähnten Strebungen im Zusammenhänge steht das berühmte Mond- werk von J. Nasmyth und J. Carpenter, von dem in diesen Blättern wiederholt die Rede war. (Vgl. S. 32 und S. 210.) Die 12 Mondlandschaften, welche dem frag- lichen Werke der genannten englischen Selenographen beigegeben sind, unterschei- den sich wesentlich von allen ähnlichen graphischen Darstellungen; sie machen, bei oberflächlicher Betrachtung, den Eindruck von Photographien nach der Natur, doch sind es nur — wie der Leser von früher- her weiss — photographische Aufnahmen von Mondmodellen, welche die Genannten mit Zugrundelegung einer 3 ojährigen zeichne- rischen Thätigkeit am Fernrohr (beziehungs- weise einem zozölligenReflector) bewerkstel- ligthatten. Nasmyth und Carpenterhaben ihrem Mondwerke auch eine Vollmondkarte von i6-6 Centimeter I Durchmesser beigegeben. Dieselbe wurde in der Weise hergestellt, dass in die auf 6 Fuss Durchmesser vergrösserte Maedler’sche Karte die lunaren Objecte in plastischer Manier (unter Annahme eines bestimmten Beleuchtungswinkels) eingezeichnet und das Ganze sodann auf obigen Durchmesser von i6'6 Centimeter rückverkleinert wurde. Von grösserem sachlichen Werthe sind die dem Neison- schen Mondwerke beigegebenen Karten, wenngleich sie bezüg- lich ihrer graphischen Wirkung den Lohrmann’schen und Maedler’schen Arbeiten nachstehen. Dagegen zeigen sie gegen- über den letzteren eine sehr weitgehende Bereicherung des Details. Die Karte, welche einem Monddurchmesser von nur 61 Centi- meter entspricht, zerfällt in 22 Sectionen in Octavformat, eine Uebersichtskarte des Vollmondes und 8 Specialkarten, von welchen 5 in Farbendruck, 3 in Strichmanier ausgeführt sind. Von verschiedenen Vorarbeiten abgesehen, hat Neison8jahre hindurch speciell für die vorgenannten kartographischen Arbeiten Beobachtungen und Zeichnungen bewerkstelligt und ausserdem mehrere hundert Positionsbestimmungen, beziehungsweise Höhen- messungen ausgeführt. Entgegen dem im populären Tone gehaltenen Textwerke von Nasmyth und Carpenter ist jenes vonNeison für Fachmänner bestimmt, ohne dass es dem Lieb- haber der Selenographie unverständlich würde. Unter den neuesten kartographischen Mondarbeiten wäre noch der Gaudibert’schen Karte zu gedenken, welche der- selbe unter Leitung Flammarion’s ausgeführt hat. Es ist eine Vollmondkarte von 64 Centimeter Durchmesser, also etwas grösser als die Neison’sche, aber, wie schon aus der vorstehen- den Bezeichnung hervorgeht, nicht in Sectionen zerlegt. Die Süd L kJ-. Ä, «ff A * ■ ’’ ’ W »3 A T ■ ■ ’ % ßraM. 1 v* X1 -'S’Ai- ' kjfc.- Fig. 457- Tycho. Nach dem Negativ des Lick-Observatoriums vom io. November 1892, beziehungsweise der 24fachen Vergrösserung von Pro- fessor L. Weinek auf circa r/fache Vergrösserung reducirt. lunaren Objecte zeigen kurzen Schattenwurf, wodurch die ganze Karte sehr plastisch wirkt und sich vorzugsweise zur Orientirung für Laien empfiehlt, obwohl auch der Fachmann in vielen Fällen sich dieses Hilfsmittels mit Vortheil bedienen wird. Am Rande der Karte findet sich überdies ein Verzeichniss von mehr als fünfhundert Mondbergen mit Angabe der Höhen in Metern. Damit sind die modernen lunaren Kartenwerke erschöpft. Die aus- gezeichneten Arbeiten, von welchen wir vorstehend Kenntniss genommen haben, sowie andere, sofort zu besprechende Umstände bringen es mit sich, dass die Epoche der graphischen Darstellung des Mondes auf zeichnerischem Wege abgeschlossen ist. Der Leser hat gesehen, mit welch grossen Opfern an Zeit und Arbeitskraft solche Werke in früheren Jahrzehnten, in denen man lediglich auf die oculare Beobachtung, beziehungsweise auf das Zeichnen am Fernrohre angewiesen war, zu Stande kamen. In der Uebergangszeit bis zu den durch- schlagenden Erfolgen der neuesten graphischen Darstellungsweise mit Hilfe der Photographie bekundete sich auf Seite einzelner Astronomen das Bestreben, einzelne lunare Objecte mit dem Aufwande alles Könnens zur Darstellung zu bringen. L. Weinek bemerkt diesbezüglich treffend, »dass das Hauptaugenmerk nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität des Dargestellten zu richten« 56