213 Der Mond. gleichsam, als wenn ein helles Fluidum in dem dunklen Theile des Mondes hin- und wiederflösse. Aehnliche Berichte giebt es noch in ansehnlicher Zahl. Lohrmann, Beer und Maedler versichern, niemals eine merk- liche Veränderung auf dem Monde bemerkt zu haben. Alle Phänomene dieser Art seien nur scheinbare, hervorgerufen durch verschiedene Beleuchtung und Libration, dann seien auch die angeblichen neuen Objecte ohne Ausnahme Minima der Sichtbarkeit, die während ganzer Lunationen überhaupt nur wenige Stunden sichtbar seien; dagegen habe man niemals Ver- änderungen an einem gut zu beobachtenden Objecte wahrge- nommen. Klein pflichtet zwar im Grossen und Ganzen dieser Anschauung bei, doch erklärt er eine Verallgemeinerung des Sach Verhaltes für verfehlt. Die Wahrscheinlichkeit grosser Revolutionen auf der Mondoberfläche sei für die Gegenwart eine sehr geringe. Naturereignisse aber wie die Aufschüttung des Jorullo, die vulcanischen Eruptionen bei Santorin, das Auf- tauchen von Inseln, die grossartige Katastrophe von Krakatoa, alle diese der Neuzeit angehörigen vulcanischen Erscheinungen würden einem Beobachter auf dem Monde sicher entgangen sein, wenn er über keine anderen optischen Hilfsmittel verfügte, als sie uns zu Gebote stehen. Im Nachstehenden sind einige Ansichten moderner astronomischer Auto- ritäten zusammengestellt, aus welchen der Leser entnehmen wird, wie diese Frage hin- und herschwankt, bald zugegeben, bald negirt, bald modificirt und verclausulirt. Newcomb schreibt: »Dass reelle physische Veränderungen ein- zelner Formationen des Mondes oder von Theilen derselben bei den enormen Temperaturschwankungen, denen sie zufolge ^tägiger Sonnenbestrahlung und i4tägiger eiskalter Nacht unterliegen, nicht unmög- lich seien, wird kaum zu bestreiten sein. Es fragt sich nur, ob sie bedeutend genug sind, um uns als solche sichtbar zu werden. Bedenkt man, dass schon 1" nahe der Mondmitte einer linearen Ausdehnung von 1800 Metern entspricht, so müssten es furcht- bare Umwälzungen und ungeheuere ihnen zu Grunde liegende Kräfte sein, welche Krater und Ringgebirge von der Grösse der Hyginusgrube beeinflusst hätten. Fundamentale Aenderungen von Formen selbst mit i—2 Kilometer Durchmesser — den nahezu kleinsten in der Entfernung des Mondes wahrzunehmenden — erheischen Kräfte, die auf dem Monde noch jetzt in Thätigkeit anzunehmen schwer wird, wenn wir nicht zu gewagten Hypothesen unsere Zuflucht nehmen wollen. Denn blosse Temperaturveränderungen, wel- che, wenn auch bedeutend, doch periodisch wieder- kehren und die Aequatorialgegenden des Mondes gleichzeitig betreffen, dürften schwerlich eine solche Wirkung hervorbringen.« Zu dem gleichen Gegenstände bemerkt Nei- son: »Die kleinen Details des Mondes sind so we- nig bekannt, dass mit Ausnahme von sehr wenigen Gegenden sich eine erhebliche Veränderung des gegenwärtigen Zustandes der Oberfläche in irgend einem Momente ereignen könnte, ohne die geringste Wahrscheinlichkeit, dass sie mit Sicherheit als solche erkannt würde. Wenn beispielweise auf dem Monde jedes Jahr verhältnissmässig dieselbe Menge vul- canischer Energie sich in ähnlicher Weise zeigte, wie auf der Erde, so würde kein Grund zu der Annahme vorhanden sein, dass diese vulcanischen Wir- kungen bis jetzt entdeckt worden wären. In dem gegenwärtigen Zustande unserer Bekanntschaft mit der Topographie des Mondes ist es nicht in Min- desten überraschend, dass ein sicheres Zeugniss vulcanischer Thätigkeit auf dem Monde sich in unverkennbarer Weise noch nicht gezeigt bat. Doch berech- tigt dieser Umstand nicht zu der Annahme, dass die vulcanische Thätigkeit auf unserem Trabanten gänzlich erloschen sei.« Die vorstehenden Bemerkungen beziehen sich vornehmlich auf einige Wahrnehmungen, welche für die Reellität der frag- lichen Veränderungen sprechen und von welchen wir nun die wichtigsten besprechen wollen. . . Eine der ältesten dieser Wahrnehmungen bezieht sich auf eine zeitweise Veränderung in der Tiefe des grossen Kraters im »Posidonius«, welche Schröter gemacht haben will. Schmidt fand bei demselben Krater vorübergehend dieselbe Erscheinung und Klein meint, dass diese Thatsache nicht zu bestreiten ist, und dass selbst Maedler zugab, man könne ihr nicht blos eine optische Deutung geben. . . Der zweite Fall bezieht sich auf den Krater »Linne« (siehe das Kartenblatt). Lohrmann und Maedler beschrieben diesen Krater als deutlich sichtbar, tief und von 6 bis 6V2 Meilen Durchmesser. Schmidt sah ihn noch 1838 und 1840 in solcher Gestalt. Im Jahre 1866 konnte ihn aber der Genannte nicht mehr wahrnehmen, und seine Ankündigung, der fragliche Krater sei verschwunden, erregte in der astronomischen Welt bedeuten- des Aufsehen. Sämmtliche Astronomen richteten ihre Fernrohre gegen das kritische Object, konnten aber dort, wo »Linne« früher stand, nichts wahrnehmen, als eine Einsenkung von ge- ringer Tiefe. Später entdeckten Secchi, Buckingham u. A. eine sehr kleine Krateröffnung. Fig. 445. Galilei’s Mondkarte. Dazu bemerkt Klein: »Es ist seltsam, dass englische Beobachter eine bei »Linne« stattgefundene Veränderung haben bezweifeln können, während doch jeder, der Maedler’s Mond- arbeit studirt und selbst den Mond genauer untersucht hat, nicht einen Augenblick zweifelhaft sein kann, dass das gegenwärtige Aussehen dieses Kraters ein ganz anderes ist als zu den Zeiten Löhrmanns und Maedler’s.« . . . Nun, was bringen die englischen Astronomen gegen diese Veränderung vor? In einer Zeichnung von Schröter, die mit einem mittelmässigen In- strumente angefertigt wurde, fehlt »Linne« als Krater und an seiner Stelle befindet sich ein kleiner weisser Fleck. Da Schröter mit seinen unvollkommenen Mitteln einen kleinen weissen Fleck in der Nähe der Stelle, wo man »Linne« vermuthete, aber keinen Krater zeichnet, so ist im Allgemeinen angenommen worden, dass eine Veränderung nicht stattgefunden habe. Unbestritten ist aber die Veränderung bei »Messier« (siehe das Kartenblatt). Dieses Ringgebirge liegt im Mare Foecunditatis ganz isolirt neben einem zweiten Ringgebirge, und waren beide in früheren Jahren ganz gleich gestaltet und genau gleich gross. An eine irrthümliche Darstellung auf den älteren Karten kann nicht gedacht werden, weil Beer und Maedler — da Schröter bereits früher dort eine physische Veränderung vermuthete ______ in den Jahren 1829 bis 1837 über 300 Beobachtungen dieser Ringgebirge anstellten. Als Resultat derselben ergab sich, dass beide Objecte in Bezug auf Durchmesser, Form, Höhe, Tiefe, Farbe des Inneren und der Wälle und Lage der Kuppen auf den Wällen genau gleich waren. Heute aber existirt diese Gleichheit nicht mehr; das eine Ringge- birge ist jetzt nicht nur bedeutend grösser, sondern es ist auch von anderer Form und anders placirt. Es genügt das kleinste Fernrohr, um diesen Sachverhalt zu er- kennen. Bei solchen Thatsachen klingt eigen- thümlich, was Neison darüber zu sagen weiss. Er stellt sich die Frage, ob hier thatsächlich ein hall von physischer Verän- derung vorliegt, und beantwortet dieselbe wie folgt: »Erfahrene Astronomen haben sich zu Gunsten dieser Ansicht ausgespro- chen; im Allgemeinen hat jedoch der vor- liegende Fall wenig Aufmerksamkeit erregt, und es ist immerhin möglich, dass keine physische Veränderung stattgefunden hat. Allerdings erscheint es merkwürdig, dass Beer und Maedler trotz der langen Reihe von 300 Beobachtungen den Unterschied im Aussehen nicht be- merkt haben sollten. Indess ist der Fall im Allgemeinen nicht als Beweis einer physischen Veränderung auf dem Monde an- genommen worden.« Weitere Veränderungen führt Klein, als von ihm selbst und von Schmidt entdeckt, an, und zwar die Entstehung eines Rillensystems in der Nähe des Kraters »Kampden«, dann ein System von Rillen und Kratern in der Nähe von »Aristarch«. Die bedeutendste dieser Entdeckungen ist aber diejenige Klein’s bei »Hyginus«, wo der Genannte ein mit »N« bezeichnetes Object auffand. Dasselbe ist eine kraterförmige Vertiefung ohne äusseren Wall, mit einer flachen südlichen Verlängerung, an deren Ende sich ein zweiter kleiner Krater befindet. Weder ältere noch neuere Beobachter haben dieses Object vor 1877 jemals gesehen. Die Behauptung Klein’s von dieser Neubildung erfuhr zuerst langen und heftigen Widerspruch, aber es pflich- teten nach und nach doch viele namhafte Astronomen dem Entdecker bei. »Hyginus N« ist schon bei einer Objectivöffnung von 2“ sichtbar und es ist schwer vorauszusetzen, dass ein so deutlich wahrnehmbares Object früheren Beobachtern hätte ent- gehen können, wenn es schon vorhanden gewesen wäre. Natürlich waren auch diesmal alle Astronomen auf der Suche nach der wunderbaren Bildung. Bezeichnend für die Wichtigkeit der Sache ist ein Be- richt des Zweiflers Neison, der sich sofort auf die Suche machte, jedoch zu Beginn vom Wetter nicht begünstigt war. Dann heisst es weiter: »Angelangt auf meinem temporären Observatorium, fand ich, dass mir nur höchstens Stunde zur Beobachtung blieb. Ich brachte mein Auge an das Fernrohr, ein Ruck in Rectascension und ein Druck in Declination brachte Hyginus central in das Teleskop. In offener Ebene, unmittelbar nördlich von Hyginus, lag ein grosses schwarzes, kraterähnliches Object, fast so gross wie Hyginus selbst und viel zu auffällig, um übersehen werden zu können. Es stand gerade mitten in einer Region, in welcher ich sicher war, dass kein solches Object bei meinen früheren Beobachtungen sich zeigte. Hier konnte kein Missverständniss obwalten; das Object war so augenfällig, dass es völlig unmöglich ist, dasselbe zu übersehen. 54