..n ■ ■■ in' i "'ii . / Fig. 431. Chabot -Observatorium (Oakland). SECHSTER ABSCHNITT. Der Mond. in verhältnissmässig der Erde so nahestehender und I durch so vielfache Wechselbeziehungen mit ihr eng verbundener Weltkörper wie der Mond, er- regt das Verlangen, ihn nicht blos seiner kos- mischen Stellung nach, sondern auch individuell kennen zu lernen. Während das unbewaffnete Auge in sämmtlichen übrigen Himmelskörpern nur Punkte und in der Sonne eine flammende Scheibe erblickt, der man nicht ungestraft das zart organisirte Sehorgan aussetzen darf, erspäht man im Monde hellere und dunklere Flecken, welche die Vorstellung einer gewissen Oberflächenplastik erwecken und unwillkürlich zur Ver- gleichung mit unserer Erde auffordern. Schon der Blick durch einen Operngucker enthüllt Details, die jene Vorstellung wesent- lich unterstützen, und was in einem grossen Instrumente alles zu sehen ist, würde der Leser auch ohne jede Erläuterung, ein- fach durch Betrachtung der diesem Werke einverleibten präch- tigen Mondblätter inne werden. Kein Wunder also, dass unser Satellit dem denkenden Beobachter, der die topographischen Verhältnisse desselben in ihrer Gesammtheit erfasst und sie zu der sonstigen physischen Natur des Mondes in Beziehungen bringt, vorwiegend nach der entwickelungsgeschichtlichen Seite hin angeregt wird. Denn hier schaut er unbehindert in das Antlitz eines Weltkörpers, dessen Vergangenheit ihm zwar verhüllt und nur durch Ana- logienschlüsse verständlich ist, dessen gegenwärtiger Zustand aber allen Vergleichen mit irdischen Verhältnissen unzugänglich ist. Denn dort spricht in ahnungsvollen Zeichen unsere -— Zu- kunft. . . Es ist eine starre und schweigsame Welt, ein ver- steinerter Traum, ein Gorgonenschild der Vergänglichkeit. Die Einbildungskraft ist äusser Stande, diese Einöden zu beleben. Man überschaut »Oceane«, aber ihre Becken liegen trocken — weitgedehnte Wüsten, von zackigen Felsrücken umrandet. Da und dort schliesst sich ein zerklüfteter Wall, zerschrunden, von Sätteln durchrissen, spitzen Kämmen überragt, rings im Kreise Trichter an Trichter: Alles wirr und wild, stumm und starr, ein ungeheuerer Kirchhof im unendlichen Raume schwebend. Wie bekannt, dreht sich der Mond auf seinem Laufe um die Erde gleichzeitig einmal um sich selbst; er wendet uns der Stellung seiner Achse zufolge immer dieselbe Seite zu und von seiner Rück- seite wird ein menschliches Auge niemals eines Haares Breite er- spähen. Freilich modificirt sich diese Bemerkung dahin, dass wir in Folge der bald verlangsamten, bald beschleunigten Bewegung des Trabanten und der damit bedingten Erscheinung der »Libration«, ferner in Folge von Schwankungen der Mondachse und schliesslich wegen der Stellung eines irdischen Beobachters (ausserhalb des Erdmittelpunktes) um ein Weniges mehr als die halbe Kugel- oberfläche des Mondes sehen, nämlich 4 Siebentel. Es sind daher immerhin 3 Siebentel der irdischen Beobachtung ent- zogen. Dank der Nähe des Trabanten zur Erde und der Sichtbar- keit seiner Oberfläche, hat jener wie kein anderer Weltkörper seit frühester Zeit den Stoff für die mannigfachsten Speculationen abgegeben. Aber auch die spätere Zeit blieb nicht frei von solchen Abschweifungen, welche man wissenschaftliche Romantik nennen möchte. Kepler glaubte in den regelmässig geformten Mondbergen Niederlassungen der »Seleniten« (Mondbewohner) zu erkennen. Der Danziger Rathsherr und Brauereibesitzer Hevelius, dem wir die erste ausführliche Nomenclatur der lunaren Objecte verdanken (die vorher von Langrenus an- geregt, nachher von Riccioli umgeändert wurde), glaubte gleichfalls an die Bewohnbarkeit unseres Trabanten und durch Intelligenz hervorgerufene Wandlungen. Dem schloss sich noch Schröter zu Beginn unseres Jahrhunderts an, und Mitte der Zwanzigerjahre erregte es in der ganzen Welt ungeheueres Aufsehen, als der sonst ganz verdienstvolle Münchener Astronom Gruithuisen die Mittheilung machte, er habe auf dem Monde ein Gebilde entdeckt, das einem Product menschlicher Kunst- fertigkeit gleiche. Wie es noch vor sechzig Jahren mit diesen Dingen stand, beweist eine im Jahre 1835 zuerst in dem -»London and Edinburgh philosophical Magazine« und (als Nachdruck) in der New-Yorker Zeitschrift »The Sunt abgedruckter Bericht, welcher ein Jahr darauf in Hamburg in deutscher Sprache erschien. Darin wird allen Ernstes erzählt, welche grossartigen Entdeckungen Sir John Herschel auf seiner Sternwarte am Cap der guten Hoffnung bezüglich des organischen Lebens auf dem Monde gemacht habe. Selbstverständlich war es eine Mystification; aber dass in verhältnissmässig so naheliegender Zeit und unter der Flagge zweier der angesehensten wissenschaftlichen Zeitschriften derartiges in die Welt geschickt werden konnte und von dieser als baare Münze hingenommen wurde, charakterisirt den Sachverhalt in treffend- ster Weise. Und was enthielt jener Bericht? Zunächst die Beschreibung eines In- strumentes, das niemals existirt hat, eines Riesen mit 24 Fuss Objectivöffnung. Alsdann die Wunder, welche mit diesem fabelhaften Fernrohre gesehen wurden. Es ist eine Beschreibung, wie sie niemand Anderer, selbst ein Jules Verne nicht, jemals zu Stande gebracht hat. Eine Probe wird genügen. Nach der Beschreibung des »Endymion« heisst es weiter: »Dreissig Meilen südlicher in Nr. 11 oder »Cleomedes« liegt ein sehr grosser ringförmiger Berg mit drei besonderen Kratern, welche schon seit langer Zeit ausgebrannt sind, dass das ganze sie umgebende Thal, welches elf Meilen im Umfange hat, dicht, fast bis an den Gipfel der Hügel mit Wald bedeckt ist. Nicht eine Ruthe kahlen Landes äusser dem äussersten Gipfel der Krater findet sich. Dieser Krater konnte völlig übersehen wrerden, und kein Geschöpf zeigte sich, äusser einem 52