Die Glieder des Sonnensystems. I 8g Wasser wurde, in gelbliches Land umgewandelt. Diese Veränderungen nahmen ihren Fortgang bis zum 13. October, dem Zeitpunkte, zu welchem die Schnee- kappe fast ganz verschwunden war. Gegen Ende Octobtr blasste alles in Farbe ab, so dass fast die ganze Marsoberfläche ohne dunkle Flecke sich zeigte. Es stellt sich also von selbst die Frage ein: Wenn die blaugrünen Flächen Wasser vorstellen, wo ist dieses hingerathen? Lowell erklärt diesen Sachverhalt in der Weise, dass er annimmt, die blaugrünen Flächen seien mit Vegetation bedeckt, für welche eine relativ geringe Menge Wasser ausreicht, deren Anwesenheit beziehungsweise Abwesenheit für uns nicht wahrnehmbar ist, wohl aber ihre indirecte Wirkung in der Vegetation. Lowell fasst seine Beobachtungen in folgende Sätze zusammen: »Die Canäle und die sogenannten Seen nehmen alle Theil an der jährlichen Metamorphose mit einem von der Jahreszeit abhängigen Wechsel, welcher nebenher von ihrer Breite oder dem Abstand vom Südpol abhängt. Eine Welle der Verdunkelung läuft successive durch die bläulich-grünen Regionen von Süd nach Nord. Bleich im Winter, erwacht die Farbe zur Frühlingszeit, vertieft sich im Sommer und ermattet im Herbst. Für jede Gegend tritt dieser Wechsel unter sonst gleichen Verhält- nissen früher oder später ein, je nach dem Masse der Entfernung vom Pol. Es erscheint wahrscheinlich, dass dieser Farbenwechsel indirect durch Wasser, direct aber durch Vegetation, welche durch das Wasser belebt, hervorgerufen wird. Nur unter dieser Annahme erklären sich die Wahrnehmungen leicht und ungezwungen. Die Meeresbecken auf Mars beherbergen keineswegs mehr ge- waltige, tiefe Wassermassen wie die irdischen, sind aber auch noch nicht in den Zustand trockener Becken übergegangen, sondern sie dienen nur als seichte Sammelbecken für das Wasser.« Bezüglich der Canäle hält Lowell jetzt um- somehr an seiner früheren Ansicht fest, dass sie von den Marsbewohnern künstlich angelegt worden seien, um den grossen continentalen Flächen Wasser zuzuführen. Der vorstehenden Theorie conform hätte man sich also die dunklen Linien nicht eigentlich als volle Wasserläufe, sondern als unter dem Einflüsse des Wassers begrünte — d. h. mit Vegetation bedeckte — Thäler vorzustellen. Im Vorstehenden war vielfach von der südlichen Eiszone des Mars die Rede. Es ist daher nothwendig, über die soge- mit jenem des Mondes verglichen, und zwar in dem Zeitpunkte, wo beide Gestirne nahezu gleich hoch standen. Die Beobach- tungen ergaben, dass einige der Absorptionslinien im Mars- spectrum breiter und deutlicher erscheinen als im Mondspectrum. Die früheren Beobachtungen Vogel’s hatten in Uebereinstimmung mit den Beobachtungen von Huggins ergeben, dass das Vor- handensein einer Atmosphäre des Mars sich aus dem Auftreten gewisser Liniengruppen nachweisen lasse. Dagegen trat Camp- bell mit der Behauptung hervor, dass mit Hilfe des Spectroskops die Existenz einer Atmosphäre auf Mars sich nicht nachweisen werde lassen. Besonderes Gewicht legt der Genannte darauf, dass am Rande des Mars die Absorptionslinien nicht stärker hervortreten. Auch Vogel konnte keinen solchen Zuwachs der Intensitätslinien nach weisen, doch erklärt er dies durch den Umstand, dass der Uebergang ein ganz allmählicher ist und schliesslich doch nur am äusseren Rande des Planeten merkbare Unterschiede wahrgenommen wurden, jedoch in einem so schmalen Streifen, dass sich feines Detail nicht mehr erkennen lässt. Nach einer weiteren Besprechung der Beobachtungen von Huggins schliesst Vogel seine Bemerkungen über das Mars- spectrum wie folgt: »Ich glaube, dass noch weitere Beobach- tungen auch von anderer Seite angestellt werden müssen, um die Frage zum definitiven Abschlüsse zu bringen, möchte jedoch nicht unerwähnt lassen, dass eine Marsatmosphäre sich auch bei den photometrischen Beobachtungen des Professors Müller deutlich zu erkennen gegeben hat, entgegen der früheren An- sicht, die auf wenigen Beobachtungen Zöllner’s basirte, dass Fig- 393- Jupiter am 10. Juli 1889, 8h 45m. (Lick-Observatorium.) Fig. 394. Jupiter am 11. Juli 1889, i2h 3m. (Lick-Observatorium.) nannten »Polarkappen* dieses Planeten Einiges vorzubringen. Das Centrum der südlichen Eiszone liegt nicht genau am Pole, sondern an einem Punkte, der vom Südpol circa 300 Kilometer entfernt ist. Er liegt in der Mitte eines grossen dunklen Fleckes, der mit seinen Verzweigungen nahezu ein Drittel der ganzen Oberfläche des Mars einnimmt und seinen Hauptocean darstellt. Das Centrum der nördlichen Eiszone hingegen liegt fast genau am Pol und zwar in einem Gebiete von gelbbrauner Farbe, also in dem nördlichen Continent. Es ergiebt sich hieraus die merk- würdige Erscheinung, dass beim Schmelzen des Schnees im Sommer eine breite Zone Landes in ein temporäres Meer ver- wandelt, mit anderen Worten: eine ungeheuere Ueberschwemmung verursacht wird. Die verhältnissmässig geringe Ausdehnung der Polarkappen erklärt W. H. Pickering nicht durch die höhere Wärme auf Mars, sondern durch die grosse Trockenheit der Luft. Damit berühren wir eine Frage, welche zu Zeiten mit grosser Leiden- schaftlichkeit behandelt wurde und scharfe Gegensätze aufeinander stossen liess. All die geschilderten Erscheinungen lassen nicht gut annehmen, dass es auf Mars keine Atmosphäre gäbe, wie zu Zeiten von gewichtigen Autoritäten behauptet worden ist. Im Nachstehenden ist eine übersichtliche Zusammenstellung dessen gegeben, was zur Zeit die spectroskopische Untersuchung des Mars ergeben hat. In Spectralaufnahmen, welche in Potsdam bewerkstelligt wurden, wurden 72 Linien mit den Linien des Sonnenspectrums identificirt. Aehnliches hat Huggins gefunden. Schon früher hatte Maunder die gleichen Untersuchungen angestellt, haupt- sächlich zu dem Zwecke, um Spuren atmosphärischer Absorption aufzufinden. Zu diesem Zwecke wurde das Spectrum des Mars die Atmosphäre des Mars ganz aussergewöhnlich dünn sein müsse, indem sich Mars, in verschiedenen Phasen beobachtet, ähnlich wie unser Mond verhalte. Die Müller’schen Beobach- tungen zeigen, dass Mars in seinem photometrischen Verhalten ein Zwischenglied zwischen Mercur und Mond einerseits, und anderseits zwischen Jupiter und Venus bildet, und dass seine Atmosphäre in Bezug auf Dichtigkeit wohl am ersten mit un- serer Erde zu vergleichen ist. Hiernach wäre es wohl kaum zu erwarten, dass sich spectroskopisch gar keine Anzeichen einer Gashülle erkennen lassen sollten.« Eine Erscheinung, die früher nie auf Mars beobachtet wurde, zeigte sich im Jahre 1890. Es betrifft dies helle Flecken an der Lichtgrenze des Planeten, welche einen ähnlichen Anblick darbieten, wie die Berge des Mondes, wenn dieselben unterhalb der Lichtgrenze zueist sichtbar werden. Campbell hält diese hellen Hervorragungen für die Gipfel schneebedeckter Berge. Per- rotin (Nizza) giebt die Höhe dieser Hervorragungen mit mindestens 1 bis 2 Zehntel-Bogensecunden an und schliesst daraus, dass sie sich um 30 bis 60 Kilometer über die Marsoberfläche erheben müssen. Da an Berge von solcher Höhe nicht gedacht werden kann — vornehmlich auf Mars, auf welchem die allgemeine Denundation schon bedeutend fortgeschritten sein düifte — muss man zu anderen Hypothesen greifen. Befriedigendes ist bisher nach dieser Richtung nicht vorgebracht worden. Man hat die Hervorragungen durch Wolkenbildungen erklären wollen, doch steht dem die Erwägung entgegen, dass solche Bildungen keinen solch beständigen Charakter aufweisen können, wie sie bei den hellen Hervorragungen beobachtet worden sind. Ob hier Ir- radiationserscheinungen im Spiele sind, ist nicht erwiesen. Somit bleibt eine Erklärung des Phänomens noch offen. Aehnlich steht es mit einer anderen merkwürdigen Er- scheinung auf Mars: die sogenannte Verdoppelung der Canäle. Seit dem Jahre 1882 bemerkte Schiaparelli, dass eine gewisse Anzahl von Canälen beim Eintritt in einer bestimmten Jahreszeit in ihrer ganzen Länge sich verdoppeln, so dass nun plötzlich zwei schnurgerade dunkle Linien, statt der ursprünglichen einen, 48