174 Die Sonne. war, trat diese eigenartige Bildung gleichfalls in die Erscheinung. Bei dieser Aufnahme konnte vermöge der kurzen Exposition die Einwirkung diffusen Eichtes nur sehr unbedeutend sein. Aehnliche Bildungen erkennt man auch auf den Platten der Fin- sterniss vom 29. Juli 1878 durch das Naval Observatory in Washington. Hier erlangt die Ausweitung das Mass von 50' vom Mondrande. Diese Platten waren durch 20 Secunden ex- ponirt. Negative der britischen und französischen Expedition nach den Carolinen gelegentlich der totalen Sonnenfinsterniss im Mai 1883 zählten Ausweitungen bis zu 60' vom Mond- rande. Ein noch weit beträchtlicheres Mass wiesen diese Bildungen auf den Platten auf, welche von den verschiede- nen amerikanischen Expeditionen ge- wonnen wurden. Die Aufnahmen der Fig. 354- Grosser Sonnenfleck vom Januar 1897. (82.000 Kilometer Durchmesser.) (Nach einer Zeichnung.) Lick-Sternwarte, des Harvard College und des Washington Obser- vatory zu St. Louis übertrafen alle anderen, indem auf den diesbe- züglichen Platten die trompetenartige Ausweitung der Corona bis 135' und 165' reichte. Allerdings betrug die Exposition bei diesen Aufnahmen 10, 21 und 41 Secunden, wodurch die Wirkung des diffusen Lichtes nicht ausgeschlossen erscheint. Kein Wunder also, dass eine so enorme Ausdehnung des Coronalichtes von vielen Astronomen angezweifelt wurde. Gelegentlich der totalen Sonnenfinsterniss am 16. April 1893 bewerkstelligte indess Schaeberle eine Aufnahme bei nur 4 Secunden Exposition, bei welcher die fragliche trompetenartige Ausweitung das höchste, bisher beobachtete Mass erreichte, nämlich 190' nach Osten und 246' nach Westen, vom Sonnencentrum aus gerechnet. Ferner ergab die Vergrösserung Barn ar d’scher Negative eine deut- liche Ausprägung der radialen »Polarstrahlen', welche aber in Wirklichkeit nicht auf die Sonnenpole beschränkt sind, sondern sich weit gegen den Aequator hin erstrecken. Die ausgezeichnete Deutlichkeit der Platten gestattete die Verfolgung solcher Strahlen bis zu den glänzenden fiügelartigen Bildungen der Corona in deren äquatorialer Zone. (Vgl. Fig. 56 auf Seite 26.) Die Beobachtung der Corona gelegentlich totaler Sonnenfinsternisse führte — wie früher erwähnt — zu ein- gehender Erforschung der Pro- tuberanzen. Es wurde weiter oben auf die Finsterniss am 8. Juli 1842 hingewiesen, bei welcher zum erstenmale die röthlichen Hervorragungen be- obachtet und seitdem als »Pro- tuberanzen« bezeichnet wur- R ( 7 4# den. Damals beobachteten talen Verfinsterung erblickte man einen dritten Berg links von den bei- den ersteren. . . Airy, der in La Su- perga bei Turin beobachtete, sah eben- falls die Protuberanzen. »Während ich,« erzählt er, »den Mond nach der Bedeckung der Sonne untersuchte, gewahrte ich zu meiner grossen Ueber- raschung drei kleine rothe Flammen; ihre Höhe überstieg kaum eine Bogen- minute. Sie erschienen am oberen Mondrande und die beiden äussersten standen etwa 400 auf dem Umfange der Mondscheibe auseinander.« Professor Casari in Vicenza bemerkte bei den grösseren Protube- ranzen rothe Rauchsäulen, die sich in ihrer aufsteigenden Bewegung durch- kreuzten. Schuhmacher (Wien) sah die nämlichen Protuberanzen wie die französischen Beobachter, und zwar hauptsächlich in dem Augenblicke, in welchem kurz vor dem Ende der Totalität der erste Sonnenstrahl auf blitzte. Der betreffende Theil des Mondrandes zeigte eine rosenrothe Schicht, welche sich über 8o° des Mondrandes erstreckte und ganz den Eindruck von ge- rötheten Bergen bei Sonnenuntergang machte. Auch Struve und Schidloffsky sahen einen Theil des Mondrandes von einem rosenrothen Saum umgeben und die Protuberanzen unbeweglich wie Berge aufragen. Gelegentlich der Sonnenfinsterniss am 8. Juli 1851 wurde vornehmlich auf der Westseite des Mondrandes eine hakenförmig gebogene Protuberanz beobachtet. Nach 0. Struve betrug der Abstand des gekrümmten Theiles der Protuberanz vom Mondrande 79", doch wuchs die Entfernung nach 53 Zeitsecunden auf 115". Besonders eingehend beobachtete J. J. Schmidt diese Erscheinung. Das ganze Gebilde hatte das Aussehen einer vom Winde stark gebogenen Rauchsäule, aus deren unterstem Ende die Flammenspitzen hervorbrachen... Schmidt beschreibt ferner die merkwürdigen Erscheinungen gegen Ende der Totalität: »Etwa 4 Secunden vor diesem Momente sah ich plötzlich lebhaftes rothes Licht in Gestalt zweier sehr zarter Linien sich auf dem Rande des Mondes fortbewegen, und zwar von den Fusspunkten zweier Protuberanzen aus gegen die Mitte des sie trennenden Raumes. Es war, als flösse rothglühendes Metall über den schwarzen Mondrand hin, und doch war diese scheinbare flüssige Bewegung nur die Folge vom Fortrücken des Mondes. Anderthalb Secunden vor dem Ende der Totalität vereinigten sich beide Linien in der Mitte zu einem voll- ständigen, höchst zarten Bogen von stark rosenrothem Lichte, der viel- leicht einem kleineren Krümmungs- halbmesser als dem des Mondes ange- hörte. In seiner ganzen Erstreckung schien er aus einer sehr grossen Menge der kleinsten Protuberanzen zu bestehen, von denen einige den Bogen etwas überragten. Nun glaubte ich im Momente der Bildung dieses Bogens das Sonnenlicht erwarten zu müssen — in demselben Augenblicke trennt sich die rothe Curve vom dunklen Mondrande, und zwischen beiden tritt eine silberweisse und % ff unter Anderen Arago und Mauvais zu Perpignan. Letz- terer berichtet: »Alsich einige Secunden nach Beginn der to- talen Verfinsterung die Breite der leuchtenden Corona zu messen versuchte, sah ich am unteren Rande des Mondes einen röthlichen Punkt auf- treten; 56 Secunden nach der Bedeckung der Sonne ging dieser Punkt in zwei violett- rothe, scharf begrenzte berg- artige Hervorragungen über. Ich kann keine genauere Beschreibung von ihrem An- blicke geben, als wenn ich die von der untergehenden Sonne beschienenen, aus grosser Ent- fernung betrachteten Alpen- spitzen damit vergleiche. 70 Se- cunden nach Beginn der to- Fig- 355—358- Der grosse Sonnenfleck vom Januar 1897. (Nach Photographien des Lick-Observatoriums.) höchst intensive Lichtlinie hervor, concentrisch mit der rothen, scharf von dieser, noch mehr vom Monde geschieden. Eine Secunde lang mochte ich sie gesehen haben, zwei- felnd wegen der doch zu geringen Helligkeit, ob das Ende der Tota- lität eingetreten sei, als plötzlich sichelförmig in gewaltigem Glanze das wahre Licht der Sonne wie ein Blitzstrahl hervorschoss und in dem- selben Augenblicke die ganze Reihe der wunderbaren Erscheinungen zum Verschwinden brachte.« Diese Wahrnehmungen sind deshalb von Interesse, weil sie die ersten seit Beginn der Beobachtung der Protube- ranzen waren. Sie geben be- reits die wesentliche Charak- teristik der Erscheinung an, so dass in diesem Sinne kaum etwas nachzuholen wäre, die wunderbare Mannigfaltigkeit