173 Die Sonne. von nicht weniger als vier über einander gelagerten Spectren. Es sind: ein continuirliches Spectrum, von Meteoren herrührend, welche durch Reibung in den Gasen der Sonnen - Atmosphäre glühend geworden sind, ein Gasspectrum, in welchem auf einem con- tinuirlichen Untergründe äusser mehreren hellen Wasserstofflinien eine charakteristische helle grüne Linie auftritt, die keinem auf der Erde vorkommen- den Stoffe angehört, sondern einem lediglich in der Corona enthaltenen Gase, dem sogenannten »Coro- nium«, ihren Ursprung verdankt; ein Sonnenspec- trum, erzeugt durch Reflexion des Sonnenlichtes an den Meteoren und Gasen der Corona; ein Spectrum, hervorgerufen durch das von der Erdatmosphäre reflectirte Licht. C. Schmidt resumirt die Beobachtungen und theoretischen Betrachtungen dahin, dass die Corona zum Theile aus Schwärmen winziger Meteoriten be- steht, welche die Sonne in unmittelbarer Nähe um- kreisen, zum andern Theile aber eine wirkliche atmo- sphärische Umhüllung des Sonnenkörpers bildet, die sich hauptsächlich aus Wasserstoff und Coronium in äusserster Verdünnung zusammensetzt und wahr- scheinlich in Folge einer elektrischen Erregung der Sonne emporgeschleudert wird. Auf Grund dieser Annahme hat 188g Frank G. Bigelow (Washington) eine mathematische Theorie der Corona aufgestellt, nach welcher sich die Coronastrahlen als Kraftlinien darstellen, in denen die Fortführung der materiellen Theilchen von statten geht. Bigelow nimmt eine derartige Vertheilung des elektrischen Fluidums auf der Sonnenoberfläche an, dass die elektrische Wir- kung ihren grössten Werth an den Polen erreicht, von denen die eine positiv, die andere negativ ist. Auf mathematischem Wege ergiebt sich hieraus ein System von Kraftlinien, das vollständig analog ist jenem eigenthümlichen Curvensysteme, das man bei den bekannten Versuchen erhält, wenn man auf eine Glastafel über den Polen eines Magneten feine Eisen- feilspäne ausstreut. Betrachtet man das auf Seite 26 stehende Bild (Fig. 56), so zeigen sich in der Corona in der That die Ansätze zu einem derartigen Curven- systeme, wodurch Bigelow’s Hypothese an Wahr- scheinlichkeit gewinnt. Es sei gestattet, hier einige Nachträge bezüglich der Corona-Studien gelegentlich der totalen Sonnenfinsternisse im Jahre 1889 — am 1. Januar (I) und 11. December (II) — und am 16. April 1893 (III) einzuschalten. Die totale Sonnenfinsterniss I, welche in ihrem ganzen Verlaufe in Californien sicht- bar war, hätte eigentlich im Interesse der Wissenschaft mit einem grösseren Aufwande von Apparaten beobachtet werden sollen, als dies thatsächlich der Fall war. Nur in der in jener Zeit für die Lick-Sternwarte bestandenen Unmöglichkeit, ausreichende photo- graphische Hilfsmittel zu beschaffen, insbesondere Cameras mit möglichst grosser Objectivöffnung in sehr kurzer Brennweite, liess die Ausrüstung des genannten Observatoriums gegenüber anderen zu dem gleichen Zwecke ausgerüsteten Expeditionen im Nachtheile erscheinen. Die Leitung des Lick-Observatoriums ent- schloss sich daher, die Hauptarbeit der Beobachtung innerhalb der Sternwarte selbst, und zwar unter Berücksichtigung der spectro- graphischen Richtung derselben, vorzunehmen. Hierbei handelte Sonnenfleck am 8. August. Derselbe Fleck am 31. August. Derselbe Fleck am 27. September. Fig. 349—351- Sonnenfleck (1893). (Nach Photographien des Lick-Observatoriums.) Was die bei der Sonnen- es sich um die Erscheinungen, welche Pro- fessor Hastings (Vale College) gelegentlich der Beobachtung der Sonnenfinsterniss vom Mai 1883 unter Anwendung eines spectro- skopischen Apparates, den er zu diesem Behufe selbst construirte, wahrnahm, indem er die Spectren an diametralen Punkten der Sonne miteinander verglich und zu dem Schlüsse gelangte, dass die Sonnencorona zum grossen Theile eine auf Diffraction beruhende Erscheinung sei. Hieraus ergab sich für Hastings die Folgerung, dass die Corona sozusagen ein optisches Phänomen sei, was allen bisheri- gen Anschauungen zuwiderlief. Gelegent- lich der Sonnenfinsterniss im Jahre 1889 (I) benützte Professor Schaeberle (Lick) eine dem Hasting’schen Apparate analoge Vor- richtung und gelangte derselbe zu dem Schlüsse, dass die Aussenränder der Corona und deren Details von den bei totalen Ver- finsterungen eintretenden Stellungen von Sonne und Mond gänzlich unabhängig ist, das objective Vorhandensein des Corona- lichtes sonach kaum einem Zweifel unter- liege. AuchKeeler kommt auf Grund der ihm übermittelten Platten zu der Erkennt- niss, dass die Corona im Grossen und Ganzen kein optisches Phänomen, sondern reeller Natur sei. Keeler’s spectroskopische Unter- suchungen stellten des Weiteren die wich- tige Thatsache fest, dass die beobachtete Längenausdehnung eines Büschels des Co- ronalichtes nicht zwingend nothwendig mit der Mächtigkeit der an den correspondiren- den Stellen auftretenden, aus dem Inneren des Sonnenkörpers ausgestossenen Massen in Zusammenhang gebracht werden müsse. Daraufhin hätten wir uns die Sonne als einen in eine relativ matte Hülle einge- schlossenen Gluthball vorzustellen. In der That bieten einige Kometen der letzten Jahr- zehnte einen directen Beweis für die geringe Dichtigkeit der Sonnenatmosphäre. Die frag- lichen Kometen haben in ihrem Perihel den Bereich der Corona durcheilt, ohne die geringste Veränderung in der Bahngeschwindigkeit zu erleiden. Dazu bemerkt Scheiner: »Wir können uns der Erkenntniss nicht verschliessen, dass die Vorgänge innerhalb der Sonnenatmosphäre, so gewaltig sie aus der weiten Entfernung erscheinen, sich nur in Massen abspielen, die im Vergleich zur Masse der ganzen Sonne absolut ver- schwindend sind. Im Inneren des Sonnenkörpers wird die Materie ein Spielball sein unter unvorstellbar hohen Druck- und Temperaturverhältnissen, auf der Oberfläche werden wir die letzten Aeusserungen des Kampfes in unvorstellbar geringen Dichtigkeitsgraden der Materie erkennen.« Fig- 352- Grosse Gruppe von Sonnenflecken vom 10. bis 22. September 1896. Photographie vom 21. September des königl. Observatoriums zu Greenwich, finsterniss 1889 I erhaltenen photographischen Aufnahmen betrifft, sind dieselben zwar von kleinem Massstabe, doch werden an ihnen zahlreiche Details sichtbar, wenn man sie direct photographisch ver- grössert. So enthalten bei- spielsweise einige der von E. S. Hold e n vergrösserten B a r n a r d’schen Negative nicht weniger als 113 erkennbare Details in der Corona. Neben den Einzelheiten in unmittel- barer Nähe des Sonnenrandes zeigen diese Negative eine sehr bemerkenswerthe trompetenför- mig gestaltete Ausweitung, de- ren Ausdehnung bis zu 77' vom Sonnencentrum verfolgt werden kann. Auf einer Platte, welche 4y2 Secunden exponirt worden Fig- 353- Die links stehende Gruppe von Sonnenflecken. Photographirt am 22. September 1896. 44