152 Die Fixsternwelt. Autorität wurde damals Struve angerufen, der auf Grund von Messungen zu dem Resultate gekommen war, dass die Sterne sich in der Richtung der Milch- strasse thatsächlich, also nicht perspectivisch, anhäuften. Maedler huldigte ähnlichen, jedoch noch complicirteren Anschauungen. J. Klein trat 1872 mit grosser Energie wieder für die optische Erklärung der Milchstrasse ein. »Der siderale Inhalt der Milchstrasse — schreibt der Ge- nannte — ist ein höchst mannigfaltiger und weit davon entfernt, ein irgend symmetrisch gruppirter zu sein, wie es der Fall sein müsste, wenn die Milchstrasse als ein ungeheuerer ge- schlossener Sternenring unseren Fixsternhimmel umschlösse. Man muss vielmehr annehmen, dass die scheinbare Ringform der Milchstrasse nur eine optische Täuschung ist und hervor- gerufen wird durch die Lagerung einer unbe- stimmt grossen Zahl von kleineren und grösse- ren Sternhaufen und Sterngruppen in einer und derselben Ebene, die uns gerade als Ebene der Milchstrasse erscheint. Von jedem Partialgebilde der einzelnen Sternschwärme und Sternhaufen aus, welche das System der Milchstrasse bilden, stellt sich diese nahe als grösster Kreis und in ähnlichen Zügen dar. Dass die Tiefen dieser ungeheueren Fixstern- schicht nicht zu ergründen sind, ist nach den jetzt gewonnenen Vorstellungen von dem Baue der Milchstrasse nicht wunderbar. Schwieriger bleibt es dagegen, Vermuthungen zu machen über die Stellungen der Sternhaufen und Nebel- flecke im Raume, welche weit entfernt von der Ebene der Milchstrasse sichtbar werden. Es scheint aber, dass die Hauptschicht der Fixsterne in gewissen Entfernungen beiderseits von kleineren oder grösseren Sternhaufen um- geben wird. Von den Nebelflecken, deren viele, wie die Spectralanalyse gelehrt hat, wirkliche Nebelmaterien sind, stehen die meisten sicher- lich innerhalb unseres Fixsternsystems, andere aber bilden eigene Sternensysteme für sich.« Secchi erklärt sich für die ältere An- schauung von der thatsächlichen und nicht ledig- lich perspectivischen Anhäufung der Sterne im Milchgürtel, und setzt hinzu, dass die Massen, welche letzteren bilden, mehr den Eindruck zahl- Fig. 306. Spiralnebel im Grossen Bären. (AR = ioh i2m; D — 410 57'.) Photographie von Isaac Roberts, aufgenommen am 14. April 1893; exponirt: 411. loser zerstreuter Gruppen machten, als den eines einzigen Systems. Im Uebrigen seien wir nicht im Stande, in dem verwickelten Bau dieser unendlichen Stern- masse irgend eine Gesetzmässigkeit zu erkennen. Es war gewiss nicht der Weg, diesen verwickelten Bau zu enträthseln, wenn Proctor die Milchstrasse mit einer Schlange verglich, die sich zusammenkrümmt, ohne indessen einen ge- schlossenen Kreis zu bilden; es bleibt vielmehr eine Lücke frei, welche der Oeffnung der Milchstrasse im südlichen Kreuz entspricht. Secchi war übrigens bereits auf der richtigen Spur, als er erklätte, dass die Milchstrasse sich zwar von den Nebelflecken durch ihre Auflösbarkeit unterscheide, dass es aber in ersterer Stellen gebe, welche wahr- scheinlich nicht ausschliesslich aus Sternen beständen, sondern bedeutende Mengen kos- mischen Urstoffes enthielten. Die Nebular-Photographie hat, wie wir an anderer Stelle erfahren haben, dargethan, dass wahrscheinlich ein grosser Theil des Firmamentes von schwach leuchtenden Gasmassen ver- schleiert werde. Daraufhin ergäbe sich der Rückschluss, das solche »Chaos- fetzen« zufälliger Weise in die Nähe der Milchstrasse gerathen seien, und mit dem eigentlichen Phänomen der letzteren nichts zu schaffen hätten. Es wären also lediglich die teleskopi- schen Sterne, welche in unserem Auge die Erscheinung des mattleuchtenden Himmelsbandes hervorriefen. Der Be- weis ist noch unvollständig. Immer- hin haben die einschlägigen Arbeiten Easton’s, Van de Sande-Bakhuy- zen’s, Epstein’s, sowie die Ergeb- nisse der Fixsternphotographie er- geben, dass die kleinen Sterne, welche das Milchstrassenlicht bil- den, eher auf die photographische Platte als auf die Netzhaut wirken, d. h. ihre chemische Wirk- samkeit ist relativ stärker, als ihre mit dem Auge geschätzte Lichtstärke. Sie müssen demnach einen Ueberschuss an ultra- violetten Strahlen haben. Das deutet ferner auf einen einheit- lichen Charakter des Spectrums dieser Sterne, wie die Thatsachen gleichfalls bestätigen. Während nämlich die beiden Haupttypen der Sternenwelt — die Sonnensterne und die Siriussterne — in Fig. 307. Spiralnebel in den Jagdhunden. (AR = 13h 25m; D = 47° 45'.) Photographie von Isaac Roberts, aufgenommen am 15. Mai 1895; exponirt :2h 55 m. den himmlischen Regionen ziemlich gleichmässig vertheilt sind, lässt sich in der Milchstrasse ein entschiedenes Ueberwiegen der Syriussterne nachweisen. J. E. Gore fand durch eine Auszählung, dass unter den Sternen der Milchstrasse, deren Spectrum bekannt ist, 63% Siriussterne sind. Nun sind aber die Siriussterne ■ durch ihren besonderen Reichthum an ultra- violetten Strahlen ausgezeichnet, wo- raus das stärkere Hervortreten kleiner Sterne in den Photogrammen der Milchstrasse folgt. Es ist aber noch ein Uebriges dabei. Die Himmelsge- gend beim Sternbilde des Schwan ist bemerkenswerth durch ihre grosse Zahl von kleinen Sternen, welche einen sonst nicht vorkommenden Spectralcharakter aufweisen. Diese nach Wolf und Ray et (Paris) be- nannten Sternchen projiciren sich mög- licherweise auf den Milchgürtel, doch bleibt es auffällig, dass Wolf-Rayet- Sterne — wie eine Zusammenstellung Pickering’s ergiebt — überhaupt nur im Bereich der Milchstrasse vor- kommen. Neuerdings hat Sidney Water Untersuchungen über die Vertheilung der Sternhaufen und Nebelflecke und deren Beziehungen zu der Milchstrasse angestellt, wobei einerseits der Nebel- kalalog Dreyer’s (s. Seite 151), an- derseits vornehmlich Böddicker’s Zeichnungen der Milchstrasse die Grundlage abgaben. Hierbei hat sich denn herausgestellt, dass die Stern- haufen sowohl dem Hauptzuge der Milchstrasse, als ihren Windungen und Armen folgen, während bezüglich der Nebelflecke dies nicht der Fall ist. Wohl aber zeigen die auflösbaren Nebel dasselbe Verhalten wie die Sternhaufen . . . Auf Basis der Arbeiten Seeliger’s (München), Gould’s (Cordoba, Arg.) und Easton’s ergiebt sich ferner, dass die Sterne, welche die Erscheinung der Milchstrasse erzeugen, jedenfalls von einander nicht so weit entfernt sind, wie ihre Gesammtheit von uns absteht. Daraus folgert H. Sam ter (Berlin), »dass die Tiefe dieser Sternschicht jedenfalls gegen ihre Breite zurück- steht, und die wahre Gestalt des Milchgürtels von seiner scheinbaren, nämlich derjenigen eines Ringes, ihrer Natur nach nicht verschieden wäre.« Das spräche also für die scheibenförmige Gestalt des Milch- gürtels, wie sie unter Anderem Plassmann gegenüber Seeliger — der an eine kugelförmige Begrenzung des Weltganzen denkt — vertritt. Sei dem wie immer: Die Hypothese von der perspectivischen Anhäufung in der Richtung der Milchstrasse (wie sie unter Anderen auch J. Klein vertheidigt) — anstatt einer thatsäch- lichen Anhäufung — scheint damit abgethan. Damit nicht genug, ist die Photo- graphie, welche die spiralige Natur so vieler Nebel enthüllt hat, auch zur Ent- räthselung des galaktischen Phänomens herangezogen worden. Nach Easton wäre es keineswegs unwahrscheinlich, dass bezüglich des Milchgürtels spätere Untersuchungen die Existenz einer oder mehrerer Spiralen beweisen werden. Er denkt sich dieselben als von einer centralen Anhäufung ausströmend, um sich in einer ge- wissen Entfernung zurückzukrümmen und einander zu umhüllen, also ein System von concentrischen Ringen zu bilden. Auch Risten- part gelangt zu einer solchen Erwägung; Kapteyn kommt auf Grund eingehender Untersuchungen über die räumliche Ver- theilung der Sonnensterne und Siriussterne zu dem Schlüsse,