Die Fixsternwelt. T45 der, welcher im Jahre 1572 zur Zeit Tycho’s im Sternbilde der Cassiopeja erschien und ungeheures Aufsehen erregte. Sein Glanz übertraf alle Sterne des Himmels, so dass einige Leute ihn sogar bei Tage sahen; er nahm jedoch bald an Glanz ab und ver- schwand, nachdem er wiederholt seine Farbe gewechselt hatte, im März 1574 dem unbewaffneten Auge. Der Stern Kepler’s wurde im October 1604 als Stern 1. Grösse von Brunowski im Schlangenträger entdeckt; aber auch er sank in einem halben Jahre zu einem Sterne 3. Grösse herab und verschwand im März 1606, ohne Farben Veränderungen gezeigt zu haben. Am 12. Mai 1866 wurde von J. Birmingham und J. Schmidt (Athen) ein neuer Stern 5. bis 6. Grösse in der Krone entdeckt, der in wenigen Stunden bis zur 2. Grösse anwuchs, aber schon Anfangs Juli zu einem Sterne 9. bis 10. Grösse herabsank. Ferner entdeckte Schmidt am 24. November 1876 einen neuen Stern 3. Grösse im Schwan, der aber schon am Ende des Jahres nur noch als Stern 7. Grösse leuchtete. Eine der merkwürdig- sten Erscheinungen dieser Art war die folgende. (Vgl. die Figuren 289 und 290.) Im August 1885 flammte mitten im Andromedanebel ein neuer Stern 6. Grösse auf, der also gerade an der Grenze der Sichtbarkeit stand. Im September war er bereits auf die 8. Grössen- classe herabgesunken. Mitte October war er 10., No- vember ii., im Januar 1886 12. Grösse geworden. In der Folge wurde er immer schwächer und verschwand endlich gänzlich. NachSee- liger (München) hätten wir es bei diesem Phänomen mit einem plötzlichen Licht- ausbruche in Folge Erwär- mung zu thun, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass die Erwärmung in Folge Auf- sturz eines dunklen festen Körpers stattgefunden habe. Indess ist dagegen einge- wendet worden, dass die in Folge eines solchen Zusam- menpralles hervorgerufene Gesammtdurchgluthung un- möglich so rasch wieder abnehmen könnte. Wahr- scheinlicher ist, dass es sich um einen Vorgang auf der Oberfläche des betreffenden Gestirnes handle. Zöllner erklärte sich das Phänomen er gelegentlich seiner optischen Entdeckung im Januar längst überschritten hatte. Nach den angestellten spectralanalytischen Untersuchungen scheint es sich bei diesem Phänomen thatsächlich um grossartige Vorgänge auf jenem fernen Weltkörper gehandelt zu haben. Jene bedeutsame, auf geradlinige Ent- fernung oder Annäherung hinweisende Verschiebung der dunklen und hellen Linien erwies sich bei den einzelnen Bestandtheilen der über einander liegen- den Spectren so ungleich, dass die Annahme unabweisbar schien, es eile ein Theil der Masse mit der erstaunlichen Geschwindigkeit von 670 Kilometer pro Secunde, und ein anderer mit der von 37 Kilometern auf uns zu, während ein anderer Theil mit der Geschwindigkeit von 480 Kilometern pro Secunde sich von uns entfernte. . . Will man an dem Bilde die Eruption glühenden Wasserstoffes aus der zerborstenen Hülle des Sternes heraus festhalten, so hat man sich darunter Ausströmungen von grossartigen Dimensionen vor Augen zu halten, wobei eine solche Ausströmung — von der Seite hervor- brechend — nach rückwärts abbog und sich von uns entfernte. An die Mög- lichkeit zu denken, dass es sich hier »um zwei in rasender Jagd dicht anein- Fig. 292. Photographisches Zenith-Teleskop des Georgetown College. Objectivöffnung: 6 engl. Zoll. — Constructeur: G. N. Sägemüller (Washington). ander vorbeisausende Weltkörper handelte, die sich gegenseitig momentan zu colossalen Gas- eruptionen aus dem Innern her- aus erregten«, geht wohl nicht an, da es sich in diesem Falle um unerklärliche Bewegungsvor- gänge handeln würde. Schon aus Anlass der Besprechung der Veränder- lichen vom Algoltypus war von einem Bewegungsge- setze die Rede, das sich im Gegensätze zu der her- kömmlichen Annahme der Bewegung der Gestirne in concentrischen Bahnen, um Sonnen und Centralsonnen stellt. Die Sterne des vor- genannten Typus sind näm- lich doppelte und mehr- fache Sterne (Fig. 293). Bei ihnen tritt nicht das be- kannte Gesetz hervor, dass ein oder mehrere Körper einen an Masse überlegenen planetengleich umkreisen; es handelt sich vielmehr um zwei oder mehrere, nahezu gleich schwere Körper, welche ihren Umschwung um einen gemeinsamen Schwerpunkt vollführen, indem sich ihre Massen die Wage haken. Es ist ohne weiteres klar, dass dieser Sachverhalt der Kant- La place’sch en Hypothese widerspricht. Wie bekannt, beruht letztere in der An- nahme, dass der planetari- sche Raum unseres Sonnen- systems ursprünglich von einem Nebelball ausgefüllt gewesen sei; dieser Gasball verdichtete sich vermöge der Gravitation mehr und mehr, wodurch eine be- in dem zeitweiligen Zer- bersten der bereits abgekühlten Schlackenhülle eines Sternes, 1 der den dritten Typus längst überschritten hatte und dunkel geworden war. Durch den Riss quellen die eingeschlossenen Gluthmassen hervor, durch die aufströmende Hitze werden die chemischen Verbindungen der Rinde zersetzt, was noch mehr Wärme und Licht frei macht, und aus dem ganzen brodelnden Chaos endlich sausten Gaswolken von einer so enormen Tem- peratur hervor, dass ihr Spectrum zeitweilig das des ursprüng- lichen Gluthherdes überbietet und als Emissionsspectrum helle Linien erzeugt. Ueber die photographische Entdeckung von neuen Sternen in den letzten Jahren war bereits in dem Abschnitte über Himmelsphotographie die Rede. Am interessantesten gestalteten sich diesfalls die Untersuchungen über den neuen Stern im Fuhrman n (Nova Aurigae, Fig. 291). der am 23. Januar 1892 entdeckt wurde. Das Merkwürdige hierbei war, dass auf einer Reihe von Photographien der Sternspectra jener Himmelsgegend, welche durch das Harvard College- Observatorium bewerkstelligt worden waren, der Stern — ohne dass ihn Je- mand beachtet hätte — bereits am 16. December 1891 sich gleichsam selbst eingezeichnet hatte, am 20. December sogar mit einer Grösse von 44, welche schleunigte Umdrehung bei zunehmender Temperatur hervorgerufen wurde. In Folge der gesteigerten Rotationsgeschwindigkeit lösten sich Gasmassen, deren Centrifugalkraft grösser war als die in der Haupt- masse des Nebelballes wirkende Centripetalkraft, los, zu- nächst als ringartige Anschwellungen oder Absonderungen, später in Gestalt von grösseren und kleineren Gasballen, welche den Centralkörper in der Rotationsrichtung umkreisten. So ent- standen die Planeten und durch Wiederholung desselben Vor- ganges im Kleinen die Monde. Obwohl nun die Kant-Laplace’sche Hypothese durch die neue Wärmetheorie und die Ergebnisse der astronomischen Spectralanalyse einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit er- langt hat, ist gleichwohl der Widerspruch unverkennbar, der in den Systemen der doppelten und mehrfachen Sterne zum Aus- drucke gelangt. Erwägt man ferner, dass wahrscheinlich der dritte Theil aller sichtbaren Fixsterne solchen Schwerpunkts- Systemen ohne Centralmasse angehören, so gewinnt die Annahme grosse Bedeutung, dass die gesammte Fixsternwelt aus einer 37