124 Beobachtende Astronomie »Eine stattliche Anzahl von Baulichkeiten — berichtet Weinek — sollte errichtet werden, zunächst das Wohnhaus, welches mit der Längsflucht nach Ost-West zu stellen war, um den herrschenden Winden die kleinste Fläche zu bieten; das astronomische Doppelobservatorium, das aus zwei Eisenthürmen mit drehbaren Obertheilen und einem Verbindungsgange bestand; der photogra- phische Thurm für die Sonnenaufnahmen, ebenfalls aus Eisen und mit rohren- dem Dache. Dazu kamen mehrere kleinere Bauten für magnetische, meteoro- logische und Fluthbeobachtungen, endlich die verschiedenen, für die stabile Aufstellung der Instrumente nothwendigen Pfeiler. . . War schon das Landen der schweren Kisten mit den Instrumenten und eisernen Bestandtheilen der Observatorien an den brandungumtobten, von Seetang schlüpfrig verlegten Klippen mit den grössten Mühen verbunden, so erwiesen sich diese nicht ge- ringer beim Transporte der Kisten über die morastige Anhöhe hinauf bis zum Observationshügel, was nur auf improvisirten Holzschienen möglich war, beim Planiren des Bodens und Errichten der Baulichkeiten, während eisige Winde mit Schnee- und Regenböen wechselten. Dank der äusserst bereiten und zuvorkommenden Unterstützung von Seiten des Commandos der ,Gazelle“ (des deutschen Expeditionsschifies), welches den Aufbau des Wohnhauses allein besorgte und für jenen der eisernen Ob- servatorien unter des Expeditionsmechanikers Leitung so viele Matrosen und so viel Werkzeug zur Verfügung stellte, als wir nur benöthigten — Dank den braven Theerjacken, die trotz Sturm und Unwetter mit aufopferndem Eifer den Zwecken der Expedition dienten — konnten wir bereits nach zwei W ochen, am 12. November (1874), unter den Klängen der Musik auf dem fertigen Ex- peditionshause die deutsche Flagge entfalten, um von diesem trostlosen Fleck- chen Erde feierlich Besitz zu nehmen. Alsbald vertauschten wir auch die schwankende Wohnung der ,Gazelle“ mit der luftigen am Lande.« Er- C. Der Kalender. Das Bedürfniss, mit Zuhilfenahme der himmlischen scheinungen — oder richtiger: der Vorgänge am Himmels- gewölbe — Anhaltspunkte für den Lauf der Dinge zu gewinnen, ist gewiss so alt, als es vernunftbegabte Wesen giebt. Schon der Urmensch mochte in der Wahrnehmung' des Sonnenaufganges und Sonnenunterganges, sowie in dem Wechsel der Mondphasen instinctiv eine gewisse Regelmässigkeit (um nicht Gesetzmässigkeit zu sagen, zu deren Erkenntniss es einer höheren Intelligenz bedarf) in der Wiederkehr bestimmter Markpunkte im Wandel der Dinge erkannt haben. Analogien hierfür finden sich bei den Völkern der Gegenwart, welche auf der tiefsten Stufe menschlicher Gesittung ste- hen. Das Erscheinen der ersten schmalen Mondessichel bedeutet ihnen ein Ereigniss, das mit Freuden begrüsst — mitunter auch durch Kundgebung von Angst erwartet wird. Vornehmlich unter den wilden Stäm- men in Afrika spielt die Mondverehrung eine grosse Rolle. Der Eintritt des Neu- mondes wird als Feiertag gefeiert, als »Erneuerung der Zeit« aufgefasst, durch Tänze und Lustbarkeiten festlich begangen. So muss es schon in der Urzeit der Menschheit gewesen sein. Das erste Zeitmass, das sich hieraus ganz von selbst ergab, war jenes von einem Neumond zum andern, also der Monat. Als natürliche Consequenz ergab sich die Beobachtung der ein- zelnen Phasen des Mondes, das Anwachsen der Sichel zur halben Mondscheibe, sodann zum Vollmond, weiter die Abnahme bis Fig. 259. Chaldäische Himmelskarte. zum Halbmond in verkehrter Stellung, schliesslich im Wieder- eintritt des Neumondes. Hierdurch war das Zeitmass für die Wochenperiode gegeben. Der Gang der Sonne von einem Aufgang bis zum andern ergab die Untertheilungen in Tage. Das war der erste Kalender, und seine Zeichen konnten am Himmel abgelesen werden. Offenbar hatte es zur Ausgestaltung dieses Systems zu einer durch die menschliche Erkenntniss vermittelten concreten Vorstellung einer ungeheueren Zeitperiode bedurft. Denn selbst bei den ältesten Culturvölkern ist der absolute Zeitbegriff etwas durchaus Schwankendes, auf phantastischen Voraussetzungen Fussendes. In der »heiligen Chronologie der Perser« bildet die Grundlage aller Zeitbestimmung die sogenannte »Himmels- wälzung«, deren Grösse — wie J. Krüger in seiner »Geschichte der Assyrier und Iranier« auseinandersetzt — in wahrhaft schwindelerregender Weise versinnlicht wird. . . .Jeder Fixstern regiert den Himmel 1000 Jahre allein und dann weitere 1000 Jahre mit einem anderen Fixstern, den er als »Vesir« annimmt. Nach 1000 Jahren dankt er diesen ab und regiert nun mit einem zweiten, dann mit einem dritten, und so fort, bis alle Fixsterne an der Reihe waren. Hierauf tritt er die Herrschaft an denjenigen Fix- stern ab, welcher zuerst Vesir war, und nun wiederholt sich der ganze Vorgang zum zweiten Male. Haben alle Fixsterne des Himmels auf diese Weise ihre Herrschaft absolvirt, so ist die »grosse Himmelswälzung« vollendet. Es beginnt aber sofort eine neue Periode in derselben Reihenfolge, wobei eine Neuschöpfung platzgreift. So wachsen die Perioden ins Unendliche an. Zur Beurtheilung solcher Zeitmasse reicht unser Jahr nicht aus. Die Jezdianen bezeichneten deshalb ganz grosse Perioden mit speciellen Namen, was ja auch die Babylonier thaten. So hiess bei jenen ein Zeitraum von 100.000 Jahren ein »Selam«, 100 Selam sind ein »Sennaar« (also io Millionen Jahre), 100.000 Sennaare sind ein »Bassijar«, 100.000 Bassijare ein »Aradeh«, 100.000 Aradeh ein »Raz«, 100 Raz ein »Araz«, 100 Araz ein »Beya- araz-. . . . Der »Bundehesch« verkündet: alle Zeit vollendet sich in i2 Jahrtausenden. Im Gesetz steht, dass das Himmelsvolk die ersten drei Jahrtausende allein war. Bis zur Erschaffung der Welt vergingen weitere drei Jahrtausende. Diese sechs Jahr- tausende sind versinnlicht durch die himmlischen Zeichen: Lamm, Stier, Zwillinge, Krebs, Löwe, Aehre. Der Lehre Zoroaster’s von einer 12.000jährigen Weltdauer liegt offenbar das Jahr mit seinen vier Jahreszeiten und zwölf Monaten als Vorbild zu Grunde. Daher ist im persischen System einem jeden Jahrtausend eines der zwölf Zeichen des Thierkreises gewidmet. . . . Auffallend ist die Aehnlichkeit der persischen Zeitrechnung mit der indischen. Nach Lassen (»Alterthumskunde«, Bd. I, S. 499 ff.) theilen nämlich die Inder auch die gegenwärtige Weltperiode (Mahä- juga) in vier Zeitalter, welche zusammen 12.000 Jahre umfassen, doch sind hier »Götterjahre« zu verstehen, von welchen ein jedes 360 Menschenjahre zählt. Das wären also 4,320.000 Menschenjahre. Von diesen phantastischen Chronolo- gien gehen wir auf die exacteren Zeitbe- stimmungen der ältesten Culturvölker über und beginnen bei den Aegyptern. Im Tempel zu Denderah ist eine Abbildung des Sternenhimmels aufgefunden worden, welche uns in trefflicher Weise die Auffassung, wel- che dieses Volk von der Gestaltung des Welt- gebäudes hatte, vermittelt. Es ist dies der be- rühmte »Thierkreis von Denderah« (Fig. 260). Das Himmelsbild wird von vier Doppel- Horusfiguren und vier Frauen eingefasst, welche das Himmelsgewölbe tragen. Ur- sprünglich gab es nur vier Himmelsträger, welche später in acht erweitert wurden, in- dem zu den vier Horusfiguren vier Hathor- figuren hinzukamen. Da aber die ersteren späterhin gleichfalls verdoppelt wurden, ent- stand die Zahl Zwölf, und die aufgehobenen Hände dieser Figuren zeigen die 24 Stunden des Tages an (lateinisch hora »die Stunde«). Man sieht zunächst zwei ineinander geschobene Kreise, von denen der eine den Gott »Taur« als Mittelpunkt hat und aus den 12 Thierkreiszeichen besteht, indess der zweite Kreis die Schlange zum Mittelpunkte hat und aus einer Anzahl anderer Figuren gebildet ist. Dem Gotte Taur (Nilpferd) entspricht hier nicht der Grosse Bär, sondern das Sternbild des Drachen — wie am grie- chischen Sternenhimmel — doch liegt die Vermuthung nahe, dass in älterer Zeit die leuchtenden Sterne des Grossen Bären als Nordpol galten, während eine genauere Beobachtung später ergab, dass den Nordpol ein Stern des Kleinen Bären bildete, der hier als Schakal-Anubis den Mittelpunkt einnimmt. In unserem Bilde ist der Grosse Bär durch die Ochsenkeule versinnlicht. Zieht man mitten durch das Bild eine horizontale Linie, so nimmt das Nilpferd dessen obere Hälfte (das Reich des Typhon) ein und fallen in dieses 7 Thierkreisbilder, nämlich: Jungfrau (mit der Aehre), Wage, Scoipion (im Westen), Schütze, Steinbock, Wassermann, Fische, während im unteren 1 heile (unserer warmen Zeit) Widder, Stier, Zwillinge (hier Mann und Frau), Krebs und Löwe fallen. Auffallend ist, dass das Sternbild des Krebses äusser dem Cirkel liegt, so dass der Kreis nur 11 Sternbilder hat, was sich daraus erklärt, dass die Alten, einschliesslich der Griechen, nur 11 I hierkreiszeichen kannten, indem sie die wenig auffälligen Sterne der Wage für die Scheeien des Scor- pions hielten. So standen den unteren 5 Zeichen auch nur 5 obere Zeichen gegenüber und so ergeben sich die 10 Monate der Keilschrift und zugleich eine unabhängige Entwickelung des ägyptischen und griechischen Thierkreises. Die Aegypter begannen ihr Jahr nicht im W inter, sondern im Sommer, und dieser Jahresrechnung entspricht der zweite Kreis, der oben erwähnt wurde. Dem Nilpferd Taur in der oberen (nach dem Sonnenstände gemessen, in der unteren) Region treten auf dem ägyptischen Himmelsgebilde drei Figuren entgegen: Osiris in schreitender Bewegung, Horus auf einer Lotossäule sitzend und Isis als Kuh mit dem Sothissterne (Sirius) zwischen den Hörnern, mit dessen Auf- gehen das ägyptische Jahr begann. Gehen wir weiter. Auf Isis folgt Sati oder Neith mit dem Bogen, dann die Göttin mit den Wasservasen, welche dem Wassermann der entgegengesetzten Seite entspricht; hierauf Isis mit dem Kinde, dann der ochsenköpfige Bauer mit der Jäthacke, hierauf der Löwe, welcher den Beginn der trockenen Jahres- zeit anzeigt, dann das Nilpferd, dann der Sonnengott Ra, hierauf ein Gott mit der Hieroglyphe des Horus, dann das kopflose Thier, über welchem sich ein Mann mit dem Schakal befindet, der dem jetzigen Sternbilde des Fuhrmann entspricht; weiter folgt eine Gruppe, bestehend aus einem doppelköpfigen Manne, dem canalisirten Lande zwischen den Fischen und einer Göttin mit dem