Orientirung am Sternhimmel. welches durch lange Zeit eine Specialität der Sternwarte bildete. Das Hauptgebäude, sowie alle Zubauten und isolirten Pa- villons sind durch Hecken und Mauern von der Nachbarschaft abgeschlossen und rührt diese Anordnung noch aus der Zeit der Erbauung des Observatoriums her. Diese Isolirung verhindert natürlich nicht, dass das Observatorium — mitten in der Welt- stadt gelegen — von Rauch und Dünsten umwallt ist und dass bis spät in die Nacht hinein durch die Luft ein unruhiges Flirren von all den Tausenden und Zehntausenden von Lampen und den elektrischen Sonnen geht. Dazu gesellen sich die oft wochenlange über die Seine breitenden Nebel, der Qualm der Fabriken und das Getöse des Strassenverkehrs. Kurz, es zeigen sich hier all die Uebelstände, von welchen weiter oben die Rede war. In diesen misslichen Verhältnissen liegt offenbar die Ur- sache, dass beispielsweise der von Le Verrier mit so erstaun- licher Präcision aus dem Weltall »herausgerechnete« Neptun nicht hier, sondern durch Galle in Berlin optisch entdeckt wurde. Man kann daher ermessen, unter welchen Erschwernissen die Pariser Astronomen ihre Arbeiten verrichten müssen, wie sie gezwungen sind, von Fall zu Fall auf alle möglichen Nebenum- stände Rücksicht zu nehmen und durch Eifer und Geduld die Missgunst der örtlichen Verhältnisse wettzumachen. Dadurch ist es der Pariser Sternwarte möglich geworden, auch heute noch, wo überall Sternwarten nach modernem Typus entstanden sind, ihre führende Rolle aufrecht zu erhalten. Bewunderungswürdig aber sind unter den mehrerwähnten ungünstigen Einflüssen die hervorragenden Leistungen dieses Instituts auf dem Gebiete der Himmelsphotographie. Wie es sich damit verhält, hat der Leser an mehr als einer Stelle dieses Werkes zu erfahren Ge- legenheit gehabt. England, der Heimstätte der modernen Astronomie, kommt das Verdienst zu, schon zur Neige des 17. Jahrhunderts durch seine berühmte Sternwarte in Greenwich das erste Vorbild einer den heutigen Anforderungen der astronomischen Wissen- schaft entsprechenden Anstalt gegeben zu haben. Das Beispiel blieb gleichwohl unbeachtet, denn der Versuch Zachs mit seinem Sternwartebau auf dem Seeberg bei Gotha hat auf dem Con- tinente keine Nachahmung gefunden. Den Kern der Greenwicher Sternwarte bildet das unter Flamsteed im Jahre 1676 aufge- führte Gebäude. Vergleicht man die bildlichen Darstellungen aus jener und selbst noch späteren Zeit mit dem Aussehen der heutigen Sternwarte, so erkennt man nur ganz oberflächlich die Hauptlinien der baulichen Gesammtanlage. Damals erhob sich ein festungsartiger Complex auf der mässigen Anhöhe mit Eck- thürmen und Terrassen und mitten darin ragte ein hoher massiger Thurm mit erkerartigen Pavillons über all das verzwickte Mauer- werk empor. In diesem Mauerkasten arbeiten F la m s t e e d und Hailey, Bradley und die anderen grossen Erforscher des Universums. Wahrhaft ehrwürdig muthen die instrumentellen Reliquien an, welche hier in Ehren gehalten werden. Die Greenwicher Sternwarte in ihrer jetzigen Gestalt zeigt die Figur 237 auf Seite 107. Das Hauptgebäude nimmt noch den alten Platz ein, aber wie sehr hat sich sein Aussehen ver- ändert! Wohl sieht man noch die Eckthürme, aber es sind nicht mehr dieselben. An Stelle der Spitzdächer sind Kuppeln ge- treten, die Ringmauern sind verschwunden. Auch die Pavillons auf der grossen Plattform des Hauptgebäudes haben ein völlig verändertes Aussehen erhalten. Zugleich hat sich die Gesammt- anlage nach zwei Seiten gereckt und gestreckt und ein ganz moderner Zubau mit eigenthümlich geformter Hauptkuppel bildet den Kern dieser Neuschöpfung. Dazwischen wölben sich andere Kuppeln, erheben sich Terrassen und füllt das Grün von An- lagen die Zwischenräume. Am Wendepunkte moderner Observatorien steht die be- rühmte Nicolai-Hauptsternwarte zu Pulkowa, welche durch die Entschliessung des Kaisers Nikolaus I. im Jahre 183g ins Leben gerufen wurde. Auf einem mit üppiger Vegetation bekleideten Hügel, von dessen mässig hohem Gipfel man nach allen Seiten eine freie Aussicht geniesst, erheben sich die Ge- bäude dieser Sternwarte innerhalb eines mauerumschlossenen parkartigen Grundes, das Dorf Pulkawa zu Füssen. Von St. Peters- burg fast 15 Kilometer entfernt und dadurch in eine bedenk- liche Einsamkeit hinausgerückt, ist es durch liebevollste Für- sorge für alle Bedürfnisse den Astronomen geglückt, letztere ihre Lage möglich unfühlbar zu machen. Bezüglich der baulichen Anlage moderner Sternwarten ist zu bemerken, dass sie hauptsächlich in zwei Arten sich scheiden: Die eine stellt die verschiedenen, theils für Beobachtungen, theils für Wohnungen, Bureaux, Bibliothek u. s. w. bestimmten Räumlichkeiten nebeneinander, so dass ein langes Gebäude ent- steht, dessen Achse senkrecht auf den Meridian gestellt ist; die zweite Art reiht die eigentlichen Beobachtungsräume in Form eines Kreuzes aneinander, von dem ein Balken verlängert ist und zum Wohnhause dient. Typisch für die erstere Anordnung ist der Brüloff’sche, im wissenschaftlichenTheile von W. Struwe herrührende Prachtbau zu Pulkowa, während als Repräsentant der zweiten Art das nach Encke’s Angaben von Schinkel erbaute Berliner Observatorium gelten kann. Als Träger des Geistes, der in Pulkowa von Anbeginn her geherrscht hat und wohl noch herrscht, dürfen mit Recht die Namen der beiden Struwe und W. Döllens genannt werden. Die exacten Arbeiten dieser Sternwarte genossen seit jeher verdienten Ruf. Es war ein Ereigniss, als seinerzeit im Hauptgebäude das Fraunhofer'sehe i5zöllige Aequatoreal auf- gestellt und seiner Bestimmung zugeführt wurde. Jahrelang waren die Blicke der Astronomen nach dieser nordischen Arbeitsstätte der Himmelskunde gerichtet. Die durch W. Struwe be- gonnenen Mikrometermessungen der Doppelsterne wurden bis in die neueste Zeit von O. Struwe und seinem Nachfolger Backlund fortgesetzt. Das grosse Passagen-Instrument, das bereits 1856 Wagner zugewiesen wurde, blieb bis zu dessen im Jahre 1886 erfolgten Ableben sein beständiges Arbeitsfeld. Seinen Be- strebungen verdankt man vornehmlich die ausgezeichneten, auf den Zeitraum von 1865 bis 1885 bezogenen Fundamental- bestimmungen im Rectascension. In gleicher Weise wurden die Fundamentalbestimmungen in Declination für den genannten Zeitraum durch Gy Iden und Nyrön am Verticalkreise aus- geführt. Eine grosse Zahl von berühmten Namen knüpft sich an die Pulkowaer Sternwarte. Es seien zunächst genannt: Gromadzki, V. Fuss, Kortazzi und Romberg. Letzterer hatte vom Jahre 1873 bis 1889 an 50.000 Meridian - Beobachtungen be- werkstelligt. Ferner sind zu nennen: v. Asten, Hasselberg, Lindemann, Witlram, Renz und Belopolski. . . Mit der Sternwarte steht auch ein astrophysikalisches Observatorium in Verbindung, das sich allmählich zu einer hervorragenden Arbeits- stätte dieser Art entwickelte. Das bedeutsame Ereigniss für die Sternwarte war die Aufstellung des mächtigen 3ozölligen Refractors, welcher im Juni 1885 seiner Bestimmung zugeführt werden konnte. Es war bis nur wenige Jahre später erfolgten Inaugurirung des Lick-Observatoriums auf dem Mount Hamilton in Californien das mächtigste Sehwerkzeug der Welt.*) Bis dahin, wenn auch nur durch kurze Zeit, war die neue k. k. Universitäts-Sternwarte in Wien im Besitze des grössten Refractors, eines 27-Zöllers, dessen mechanische Theile H. Grubb besorgt hatte, während die Linsen von Alvan Clark geliefert wurden. Die neue Wiener Sternwarte, deren Plan nach den Angaben J. J. v. Littrow’s von F. Fellner ausgearbeitet wurde, gehört zu der zweiten Art von Sternwarten, indem hier die Beob- achtungsräume in Form eines Kreuzes angeordnet sind, während ein verlängerter Balken zum Wohnhause dient. Aus der auf Seite 108 stehenden Abbildung (Fig. 238) lässt sich die Gesammtanordnung leicht entnehmen. Dieselbe zeigt zunächst in derem Mittelpunkt die gewaltige Hauptkuppel für den grossen Refractor (Bild Seite 78). An diesem Kuppelraum läuft ein Rundgang, von welchem man nach allen Weltrichtungen auf Terrassen tritt, welche die Beobachtung unter freiem Himmel gestatten. Im Osten, Norden und Westen schliessen Flügel an für die Meridianinstrumente, sowie für das Passageninstrument im ersten Vertical. Jeder dieser drei Räume schliesst mit Kuppeln ab, in welchen ver- schiedene Instrumente — kleinere Refractor, Heliometer, Swee- ping-Refractor (letzteres im nördlichen Kuppelraume) -— unter- gebracht sind. Alle diese Instrumente ruhen auf vom Funda- mente emporgeführten Pfeilern, welche in keinerlei Verbindung mit dem Gebäude stehen und von Luftcanälen durchzogen sind, um Temperatur-Schwankungen im Inneren möglichst rasch aus- zugleichen. Die örtlichen Verhältnisse des Baugrundes haben es mit sich gebracht, dass das Erdgeschoss des eigentlichen Observa- toriums mit dem ersten Stocke des Wohnhauses auf gleiche Höhe zu liegen kam. Dadurch erhielt das letztere — die Süd- front einnehmend — eine stattliche Fagade, mit Loggia durch hohe Bogenöflhungen gegliedert. Hier liegt der Haupteingang *) Ueber dieses und andere die Pulkowaer Sternwarte betreffenden An- gaben vergleiche man die vorangegangenen Abschnitte, sowie die Abbildungen auf Seite 45, 79—81, 86—87.