Orientirung am Sternhimmel. 11/ schimmerte. Aber nur einem Häuflein von Auserwählten war es vorbehalten, ihre Gedanken in den unendlichen Raum ab- schweifen zu lassen. Im lärmenden Tagesgewühl war für solche Geistesarbeit kein Platz; es erhoben sich eigene, dem Zwecke der Himmelsforschung dienende Gebäude u. dgh, in welche sich die Diener der Himmelskunde zurückzogen. Als noch die Nacht der Barbarei auf unserem Erdtheile lag, ergründeten die Chaldäer in den üppigen Niederungen des Zweiströmelandes die Geheim- nisse des Weltganzen und verzeichneten im fernen »Reiche der Mitte« die Sternkundigen ihre Beobachtungen — ehrwürdige Documeute eines noch von den Nebeln des Aberglaubens ver- hüllten uralten Geisteslebens. Aber der Entwickelungsgang war ein langwieriger, er war vielfach behindert durch irrige Anschauungen, in das gesetz- mässige Walten der Naturkräfte dichtete der Mensch seine klein- lichen Vorstellungen hinein, welche dem Fortschritte abträglich waren. Was den Alten an Instrumenten fehlte, ersetzten sie durch wundersame gekünstelte Mechanismen, welche die Be- wegungserscheinungen erklären sollten. Heute ist es anders: die mathematischen Gesetze haben sich klar auskrystallisirt, wo- gegen die instrumentalen Hilfsmittel einen Grad von Compli- cirtheit erreicht haben, welcher die »Deferenten« und »Epi- cyklen« des Hipparch, die verwickelten Systeme des Posi- donius und Claudius Ptolemäus weit in den Schatten stellt. Wir haben das Rüstzeug des Astronomen kennen gelernt und es erübrigt nun noch, einiges über jene Arbeitsstätten nach- zutragen, wo jene ingeniösen Instrumente und Apparate unter- gebracht werden und Verwendung finden. Das Wort ist bereits gefallen: es sind die Sternwarten oder Observatorien. Um sich ein Urtheil darüber zu bilden, in wie weit eine der heutigen Forschung entsprechende astronomische Arbeitsstätte sich von derjenigen aus noch halb vergangener Zeit unterscheidet, hat man sich vor Augen zu halten, dass mit der Entwickelung der Beobachtungsmittel an deren zweckmässigen Gebrauch ganz andere Voraussetzungen sich knüpfen, als sie vorher gegeben waren. Mit der zunehmenden Grösse und Complicirtheit der In- strumente wuchsen die Anforderungen an deren gebrauchsfähige Unterbringung und Aufstellung. Es genügte nicht mehr, mitten in den lärmerfüllten rauchigen Städten hohe Thürme aufzurichten, aus dessen Fensterluken heraus der Astronom den Himmel äbsuchte oder seine Messungen anstellte. Ruhe, Entlegenheit von den menschlichen Siedelungen, klare Luft, Solidität der baulichen Anlagen und freier Ausblick sind die Bedingungen, auf die sich ein modernes astronomisches Observatorium stützen muss. Die alten Sternwarten entsprachen diesen Bedingungen entweder gar nicht oder in nur sehr geringem Masse. Als typisches Beispiel hierfür mag die altehrwürdige k. k. Uni- v.ersitäts-Sternwarte in Prag herangezogen werden. Inder Fig. 250. Benjamin Gould (1824 —1896). Ff t W üJ A. WB Fig. 251. Felix Tisserand (1845—1896). Aber selbst in relativ nahe gelegener Zeit legten hervor- ragende Geister, wie Tycho und Kepler, Copernicus und Newton — um nur die führenden zu nennen — ohne nennens- werthe instrumentale Hilfsmittel die Grundzüge fest, welche all- mählich das verworrene Getriebe des Weltsystems zu dem denk- bar einfachsten und klarsten Mechanismus überführten — einfach und dennoch überwältigend grossartig in Bezug auf seine Wechselwirkungen, von der Unendlichkeit und Ewigkeit dieser letzteren nicht zu reden. Dem Laien kommt dieser Sachverhalt vornehmlich durch den Aufwand an mechanischen und optischen Hilfsmitteln der modernen Sternwarten zum Bewusstsein. Man braucht in der That nur das in den vorangegangenen Abschnitten Mitgetheilte im Geiste zu recapituliren, um diesen Sachverhalt klar zu er- fassen. Die vergleichsweise Gegenüberstellung einer Sternwarte aus früherer Zeit — wie sie uns beispielsweise in dem noch gegenwärtig ein sehr alterthümliches Aussehen zeigenden kaiser- lichen Observatorium zu Peking (Fig. 235) entgegentritt — zu den grossen Sternwarten Europas und Amerikas, hat in der That etwas Verblüffendes an sich. Der einfache Sextant und der Riesenrefractor des Lick- oder Yerkes-Observatoriums verhalten sich zu einander wie etwa das Canoe eines Indianers zu einem modernen Panzerschiff, die Gutenberg’schen Holztafeln zu einer Rotationsschnellpresse. Der grossartige Fortschritt der Mensch- heit hat dieses Resultat geschaffen. In der Astronomie im Besonderen hat er die Dinge in neuerer Zeit in die wahren Bahnen der Erkenntniss gelenkt, wobei ihr die wundersamen Ergebnisse der modernen Naturwissenschaften fördernd zur Seite gestanden sind. Stadt, in welcher Tycho Brahe lebte und begraben liegt, in welcher Kepler seine berühmten Gesetze der Planeten- bewegung entdeckte und in der er seinen »Commentarius de mon- tibus stellae Martis« und seine »Dioptrik« schrieb, erhebt sich in- mitten des Häusermeeres, von tausenden von rauchenden Schloten umgeben, ein vielleicht durch seinen anziehenden Barockstyl auffälliger, keineswegs aber zu exacten astronomischen Beob- achtungen tauglicher Thurm in die dunstige Atmosphäre. Selbstverständlich fehlt die Drehkuppel und der beobachtende Astronom hat sein Instrument von Fall zu Fall durch eine der vier, nach den Hauptweltgegenden sich öffnenden Thüren, zu richten. Das ohnedem beschränkte Gesichtsfeld wird vom Rauch der Kamine verschleiert, die verschieden dichten Luftschichten schwimmen durcheinander — es zittern die Sterne und es zittert das Instrument unter der Wirkung des Wagengedröhnes auf den Strassen. Solche Uebelstände wiederholen sich überall dort, wo ähnliche Verhältnisse herrschen. Sehr drastisch schildert Johann Joseph v. Littrow — der geistige Schöpfer der neuen Wiener Prachtsternwarte auf der Türkenschanze — die Zustände, wie sie auf der alten Universitäts-Sternwarte herrschten. . , »Mitten in der volkreichen Stadt auf einem aus engen und vielbefahrenen Strassen mit drei ungewöhnlich hohen Stockwerken sich erhebendem Gebäude wurde ein I hurm von weiteren vier Stöcken errichtet, der, um die darunter liegenden Mauern nicht zu sehr zu belasten, nur in seinem tiefsten Gelasse noch einige Festigkeit bot, während die darüber liegenden Theile fast ganz aus Fachwerk bestanden. Erschütterungen aller Art, zum Ueberflusse durch das Geläute zweier in unmittelbarer Nähe gelegener Kirchthürme gesteigert, die im Osten, sowie der mächtige Stephansdom im Westen einen grossen Theil des Himmels deckten; Rauch aus unzähligen Schloten, welcher nicht nur die Beob- achtungen hinderte und den Instrumenten höchst nachtheilig war, sondern oft den Aufenthalt in den Observationslocalen geradezu unmöglich machte; ringsum von der Sonne erhitzte Dächer, die der Strahlenbrechung, sowie der Luft- 30