106 Beobachtende Astronomie. Berührung eines senkrechten Fadens der im Brennpunkte auf- gestellten Fadenplatte beobachtet und die betreffenden Zeit- momente notirt. Ist jedoch die Lage der beiden Objecte eine in Declination verschiedene, so bedarf man zur Bestimmung der diesfälligen Raumgrösse besonderer Vorrichtungen. Es sind dies die Mikrometer, deren es eine ansehnliche Zahl von mehr oder weniger sinnreicher Construction giebt. Im Allgemeinen lassen sich dieselben in drei Kategorien eintheilen: in solche, deren Messapparat im gemeinsamen Brennpunkte vom Objectiv und Ocular des Fernrohres sich befindet; in Mikrometer, bei welchen blos ein Bild der Messvorrichtung im Brennpunkte hervorgerufen wird; schliesslich in Messapparate, mittelst welchen zwei Bilder des zu beobachtenden Objectes hervor- gerufen werden, und welche man Doppelbildmikrometer nennt. Das ausgebildetste Instrument dieser Art ist das Heliometer, von welchem weiter unten die Rede sein wird. Zunächst em- pfiehlt es sich, eine kurze Ueberschau auf die zwei erstgenannten Kategorien zu halten. Der allgemein verbreitetste unter diesen Messapparaten ist das Fadenmikrometer. Es besteht aus einer Anordnung von feinen Fäden, welche, den Cocons der Spinnen entnommen, in lig fili’ iiiin iMf iw WM? 5»^ M Mi i &.. Fig. 236. Das National-Observatorium zu Paris. feuchtem Zustande in das Mikrometer eingekittet werden, und zwar in doppelter Anordnung: eine Anzahl Fäden in verticaler Stellung und genau im rechten Winkel dazu, durch den Mittel- | punkt des Feldes gehend, ein einzelner Faden. Äusser diesem feststehenden System der Mikrometerfäden ist noch ein beweg- liches System vorhanden, welches vier verticale Fäden hat, die mit den verticalen Fäden des festen Systems genau überein- stimmen und so nahe hintereinander liegen, dass sie dem Auge des Beobachters gleiche Schärfe zeigen. Das Principielle dieser Anordnung besteht nun, wie sich leicht erkennen lässt, darin, beide Fadensysteme in eine veränderbare Stellung zu einander zu bringen, was durch eine feine Schraube — die Mikrometer- schraube — bewirkt wird. Eine neben dem Kopfe derselben angebrachte cylindrische Trommel mit feiner Theilung gestattet, die Zahl der Schraubendrehungen durch Zuhilfenahme eines Zeigers mit grosser Präcision festzustellen. Das jeweils ge- wonnene Mass muss aber hinterher in das Bogenmass umge- rechnet werden, was ohneweiters zu bewerkstelligen ist, wenn man den Werth jeder Schraubenumdrehung kennt. Ebenso ein- fach ist der Vorgang bei der Messung selbst. Soll z. B. der Durchmesser eines Planeten bestimmt werden, so wird der Augenblick abgewartet, bis er — in der fortschreitenden Be- wegung von rechts nach links im Sinne der Augenstellung des Beobachters — mit einem der verticalen Fäden in Berührung kommt. Hierauf wird mittelst der Mikrometerschraube das be- wegliche Fadensystem in Bewegung versetzt, bis dessen verti- caler Faden den Planeten am entgegengesetzten Rande berührt. Die Zahl der Schraubenumdrehungen, welche auf der Trommel bis auf Hundertsteltheile abgelesen, bis auf Tausendsteltheile abgeschätzt werden können, geben alsdann das Mass für die Umrechnung in Winkelmass, beziehungsweise Zeitmass. Nun wissen wir von früher her, dass jeder Punkt am Himmelsaequator und an den ihm parallelen Kreisen binnen 24 Stunden eine einmalige (scheinbare) Umdrehung um die Weltachse bewirkt, also in 1 Stunde den 24. Theil eines ganzen Kreises von 360°, d. i. 15". Es leuchtet ein, dass das Mass der Bewegung hier von den Raumverhältnissen modificirt wird, da die Parallelkreise gegen die Pole zu immer kleinere Durch- messer haben; die Pole endlich nehmen an der Bewegung über- haupt nicht mehr Theil. In Folge der Veränderlichkeit der Bogenwerthe für die einzelnen Parallelkreise müssen die Mes- sungen mit der Mikrometerschraube, welche auf den Aequator basirt ist, entsprechend reducirt werden, wenn es sich um Rect- ascensionsbestimmungen handelt, die auf Parallelkreise bezogen sind. So ist beispielsweise ein Grad in yo1^0 Declination nur ein Drittel so gross als ein Aequator- grad. Um nun das variableBogenmass zu umgehen, drückt man die Rectascen- sionen in Zeit aus, wobei durch An- wendung der Uhren eine wesentliche Erleichterung in der Beobachtungs- methode geschaf- fen wird. Damit ist in- dess das Wesen des Mikrometers nicht erschöpft. Es leuch- tet ein, dass der Fall, in welchem die Messung bei der an- gegebenen Stellung der Fadensysteme bewerkstelligt wer- den kann, nur ein einzelner von unzäh- ligen anderen mög- lichen Fällen ist. Um nun Messun- gen in jeder belie- bigen Richtung des Bildfeldes im Fern- rohre bewerkstel- ligen zu können, müssen sich die Fadensysteme um volle 360° drehen lassen können. Zu diesem Ende sind die Fadensysteme auf einer runden Platte montirt, welche mit dem sogenannten Positionskreise, einem Silberstreifen mit äusserst feiner Theilung, versehen ist. Die Ablesung an diesem Kreise erfolgt mit Hilfe einer fest am Fernrohre angebrachten Vorrichtung, die entweder aus einer einfachen Marke (Index) oder aus einem Nonius bestehen kann. Die Theilung am Positionskreise ist linksläufig, also entgegen- gesetzt dem Gange des Uhrzeigers. Um dem Leser wenigstens eine ungefähre Vorstellung von der Gesammtanordnung der Positionsmikrometer zu ver- mitteln, ist hier die Abbildung eines solchen nach den Con- structionsprincipien Secretan’s in Paris eingeschaltet (Fig. 217). Auf dem Positionskreise, welcher auf den Ocularauszug ge- schraubt wird, ist der Kasten (P) des Fadenmikrometers, in dessen Mitte sich das Ocular (0) befindet, derart eingepasst, dass es sich um den Mittelpunkt desselben drehen kann. Das Faden- mikrometer trägt auf der linken Seite die Trommel (T) der Mikrometerschraube (V), welche in 100 Theile getheilt ist, und das Zählwerk (T). Auf der rechten Seite befindet sich eine zweite Trommel, welche eine Schraube (V1) aufnimmt und zum Ver- stellen der festen Läden dient. Unterhalb des Instrumenten- kastens ist die Alhidadenplatte angebracht, welche in einem Ausschnitte (E) die Klemmung für die Feinbewegung und eine