Orientirung am Sternhimmel. 81 welches das Fernrohr ohne Ruck gleichmässig der majestätisch- ruhigen (scheinbaren) Bewegung der Himmelskörper nachführt, all das Zubehör von Beobachtungsstühlen und Beobachtungs- leitern, sowie die mechanischen Einrichtungen, welche die hohen Domkuppeln, die sich über dem Instrumente wölben und durch einen verhältnissmässig engen Spalt die Beobachtung gestatten, bewegen, das Alles wirkt verblüffend auf den Neuling. Er steht staunend einem Mechanismus gegenüber, der berufen ist, die Geheimnisse des Weltraumes zu erschliessen, so weit dies durch die alles Menschenwerk beschränkenden irdischen Verhältnisse möglich ist. Den Vortritt in der Construction dieser Rieseninstrumente hat — ohne das Verdienst des Mechanikers schmälern zu wollen — unbedingt der Opti- ker. Wir wissen von früher her, wie die Kunst im Guss der Glasblöcke, aus wel- chen grosse Linsen hergestellt werden sollten, sich allmäh- lich entwickelte. Fraunhofer hatte den Anfang ge- macht, Chance in Birmingham war in der Erzeugung von Kronglas, Feil in Paris in derjenigen von Flintglas ge- folgt.Zuletzt kam Ai- wa nClarkausCam- bridgeport (Massa- chusetts, Nordame- rika) an die Reihe, der König der Lin- senschleifer. Schon 1863 hatte der Letzt- genannte ein Fern- rohr von 47 Centi- meter Oeffnung (18 Zoll) für das Dear- born Observatory in Chicago gebaut. Auf der Londoner W eltausstellung 1862 hatte Chance zwei Scheiben op- tischen Glases von 2 6Z0II Durchmesser ausgestellt, die von Mr. Nevall, einem begüterten Freunde der Astronomie, an- gekauft wurden. Cooke in York schliff daraus eine Linse von 63-5 Cen- timeter (25 Zoll) Durchmesser und 2 9 F uss Brennweite, die zu einem Re- fractor verwendet wurde, der den obengenannten, bis dahin grössten in Chicago an Stärke fast um das Doppelte übertraf. Die Vollendung dieses Instrumentes (1868) war epoche- machend und eröffnete einen Wettkampf, dessen Ende noch nicht gekommen zu sein scheint. Lange sollten sich die Eng- länder des Ruhmes, den grössten Refractor zu besitzen, nicht zu erfreuen haben. Die Regierung der nordamerikanischen Union sandte eine Commission aus Astronomen und Optikern nach England, mit dem Auftrage, das Nevall’sche Instrument zu prüfen und über seine Leistungen zu berichten. Das Ergebniss dieser Mission war ein günstiges und die Folge war, dass Alwan Clark den Auftrag erhielt, für die Staatssternwarte in Washington — das »Naval Observatory« — ein noch grösseres Objectiv, von 66 Centimeter (26 Zoll), zu construiren. Die Brennweite dieses Instrumentes beträgt 30^5 Fuss (10 Meter). Diese Leistung wurde bald hierauf durch den grossen Refractor der k. k. Uni- tS7 Fig. 185. Ocularkopf des grossen Refractors zu Pulkowa (Schema). 3 >---,L6 \/£\ versitätssternwarte in Wien mit 27 Zoll Objectivöffnung- Überboten. Alsdann kam das Rieseninstrument von Pulkowa mit fast 31 Zoll Objectivöffnung- und 45 Fuss Brennweite an die Reihe, gegen Ende der Achtzigerjahre das mächtige Instrument des Lick- Observatoriums, dessen Objectivlinse einen Durchmesser von 36 Zoll hat. Die Brennweite beträgt 56 englische Fuss. Aber auch bei diesen Dimensionen ist man nicht stehen geblieben. In allerjüngster Zeit ist auf dem Yerkes-Observatorium am Lake Geneva bei Chicago ein Refractor von 40 Zoll Objectivöffnung aufgestellt worden. Das Totalgewicht dieses Kolosses beträgt 75 Tons; das aus Stahl hergestellte Fernrohr ist 64 Fuss lang und hat in der Mitte einen Durchmesser von 52 Zoll. Der Punkt, wo es an der Declinationsachse befestigt ist, liegt 43 Fuss über dem Fussboden. Aus den Abbil- dungen auf Seite 73 (Fig. 171 —173) ersieht man drei von den vielen Stadien, welche der ungeheuere Glasblock durchzumachen hatte, bis er unter der Meister- hand Clark’s zur voll- kommenen Linse wurde. Es ist anziehend zu hören, mit welchen Schwierigkeiten diese Arbeit verbunden ist. Ein Beispiel hierfür giebt die Herstellung der 30ZÖIH- gep Linse des grossen Pulkowaer Refractors, über welche aus der seinerzeit von Director O. Struve herausgege- benen Festschrift man- che interessante Einzel- heiten zu entnehmen sind. Nachdem der ge- nannte Astronom sich zunächst in der Werk- stätte des berühmten Münchener Künstlers S. Merz vororientirt hatte, reiste er zu Clark in Cambridgeport, um die Bestellung zu bewerk- stelligen. Obwohl der be- rühmte Linsenschleifer vor einer neuen, grossen Aufgabe stand, war er gleichwohl voll Zuver- sicht für das neue Werk und setzte sich für des- sen Gelingen ein, falls nur die Glasmassen in gewünschter Qualität und von den festge- setzten Dimensionen be- schafft werden könnten. WenigeTage nach Abschluss des Contractes befand sich Clark’s Sohn bereits auf dem Wege nach Europa, um die gewünschten Glas- massen zu beschaffen. Chance übernahm wie gewöhnlich die Her- stellung des Kronglas- blockes, Feil in Paris jenen des Flintglases. Beide Blöcke sollten in 4 bis 6 Monaten abgeliefert werden. Nach dieser Frist trafen erstere in Cambridge- port ein und w’urden sofort in Arbeit genommen. Da zeigte es sich aber zum Schrecken der Constructeure, dass der Kronglasblock einen Riss bekommen hatte, welcher die Verwerthung desselben für den vorliegenden Zweck unmöglich machte. Es wurde nun ein zweiter Kronglasblock bei Feil bestellt, dessen Flint- glas sich als ganz ausgezeichnet erwies. Bis das Kronglas nachgeliefert wurde, verging noch ein volles Jahr. Nachdem die Flintglaslinse fertiggestellt war, zeigte es sich, dass unweit der Mitte derselben sich eine grosse Menge Luftbläschen zu einem Haufen an- gesammelt hatte, welcher auf einer Fläche von i'/2 Zoll Länge und % Zoll Breite bis auf ’/4 Zoll von der Oberfläche aus in die Glasmasse sich erstreckte und wegen dieser Tiefe nicht herauszuschleifen war. Nachdem aber sowrohl die Künstler, als auch astronomische Autoritäten sich dahin äusserten, dass dieser Sachverhalt die Leistungsfähigkeit des Objectives in keiner Weise beeinträchtige, konnte der Fehler acceptirt werden. Dagegen erwuchs ein ernsteres Bedenken in dem Umstande, dass es nicht gelungen war, dem Glase die gewünschte Dicke zu geben. Clark glaubte, bei der gegebenen Dicke das angesetzte Verhältniss 1:16 (von Objectiv zu Brennweite) nicht einhalten zu dürfen, indem dabei die Linse in ihrer Auflage auf der Fassung zu sehr geschwächt würde und mög- 21