Orientirung am Sternhimmel. 49 Fig. 101. Die Beleuchtung der Erde am 21. Juni. während der täglichen Umdrehung des Himmels um die Welt- pole beschriebenen Kreise werden Polarkreise genannt und unterscheidet man einen nördlichen und einen südlichen Polar- kreis. Derjenige Kreis, welcher durch die Himmelspole und die Aequinoctialpunkte geht, heisst der Aequinoctialcolur, der- jenige Kreis, welcher Himmelspole und Sostitialpunkte in sich schliesst, wird Sostitialcolur genannt. Alles hier Gesagte gilt im umgekehrten Verhältnisse für die südliche Hälfte der Erdkugel. Es ist noch nachzutragen, dass die Erde in ihrem Gange um die Sonne keinen Kreis, sondern eine äusserst wenig ex- centrische Ellipse beschreibt (Fig. 100), in deren einem Brennpunkte die Sonne steht. Hieraus folgt, dass die Entfernungen der Erde von der Sonne in jedem Punkte der Erdbahn wechseln, dass die Erde einen zur Sonne nächst- liegenden, beziehungsweise fernst- liegenden Punkt zu gewissen Zeiten einnimmt und dass diese letzteren Extreme mit den Solstitien zusammenfallen. In der Sonnen- nähe (Perihelium) steht die Erde 146'2 Millionen Kilometer, in der Sonnenferne (Aphelium) 151-1 Millionen Kilometer von der Sonne ent- fernt. Die Länge der Bahnlinie der Erde beträgt 934 Millionen Kilometer, und um diese zu durch- laufen, benöthigt die Erde 365 Tage, 5 Stunden, 48 Minuten und 46 Secunden. Dabei legt die Erde durchschnittlich in der Secunde einen Weg von 29-6 Kilometer zurück, während ein Punkt des Aequators in der täglichen Achsendrehung der Erde einen Weg von nur 465 Meter in der Se- cunde zurücklegt. Die Bewegung der Erde um die Sonne bewirkt, dass nebst der scheinbaren täglichen Bewegung des Fixsternhimmels wir auch eine scheinbare jährliche Bewegung, welche gleichfalls in ostwestlicher Richtung erfolgt, zu verzeichnen haben. Nur der Nord- und Südpol behalten unverändert ihre Stellung bei; alle anderen Sterne (also auch die Sternbilder) haben in verschiedenen Fig. 103. Die Beleuchtung der Erde am 21. März. Fig. 102. Die Beleuchtung der Erde am 21. December. bleiben; für den Sommer gilt dies für die Sternbilder Krone, Schlange, Ophiuchus, Herkules, Leier und Adler; im Herbste für Schwan, Wassermann, Pegasus, Andromeda, Fische; im Winter für Widder, Perseus, Stier, Orion, Grosser und Kleiner Hund, Zwillinge, Krebs u. s. w. Es culminiren um Mitternacht stets jene Gestirne, welche der Sonne diametral gegenüber stehen. (Vergleiche die Figuren 104—107.) Betrachtet man den Sternen- himmel zu verschiedenen Stunden der Nacht, so wird man die Wahr- nehmung machen, dass einzelne Sternbilder scheinbar einen sehr beträchtlichen Weg am Himmels- gewölbe zurücklegen, während andere — es kommt diesfalls ausschliesslich auf dieWeltgegend an, in welcher sie liegen — sich weit weniger, beziehungs- weise so gut wie gar nicht bewe- gen. Ehe wir in diese Erscheinung eingehen, müssen wir zu dem bisher Mitgetheilten eine nach- trägliche Bemerkung bezüglich der Gestalt des Himmelsgewölbes vorbringen. Die Annahme, dass alle Himmelskörper sich an der Innenseite einer Kugelfläche befänden, deren Mittelpunkt der Standort des Beobachters ist, und welche durch den Horizont in eine sichtbare und in eine unsichtbare Hälfte zerlegt wird, steht mit dem Augenschein in Widerspruch, indem uns in Folge einer eigenthümlichen Urtheilstäuschung das Himmelsgewölbe abgeflacht erscheint. Ja die scheinbare Gestalt des letzteren ist bis jetzt nicht einmal zulänglich bekannt, indem die Einen sie für kugelförmig, Andere für ellipsoidisch ansehen, wieder Andere aber meinen, die Krümmung sei manchmal derart, dass die Querschnittscurve einer Conchoide (Muschellinie) ähnlich sähe. Reimann, der von der Annahme ausging, dass das sicht- bare (scheinbare) Himmelsgewölbe das Stück einer Halbkugel sei, fand (1890) auf Grund zahlreicher Schätzungen und Höhen- messungen, dass der horizontale Halbmesser dieser Hohlkugel Fig. 104. Der nördliche Sternhimmel am 1. Januar, gh Abends. Hase - —- ** ^NOEKReIS. oTStttHB > , Hercules \ö ui au Fig. 105. Der nördliche Sternhimmel am 1. April, gh Abends. Zeiten des Jahres zu derselben Tageszeit eine verschiedene Stellung; an demselben Tage und zu derselben Tageszeit erreichen sie immer wieder dieselbe Stellung. Um zu finden, welche Sternbilder in den einzelnen Jahreszeiten über unserem Horizonte liegen, oder welche Gestirne zu einer bestimmten Nachtstunde den Meridian passiren, brauchen wir uns nur der verschiedenen Standpunkte der Sonne in der Ekliptik zu den einzelnen Jahreszeiten zu erinnern. Es folgt daraus, dass im Frühling die Sternbilder des Löwen, der Jungfrau, des Bootes und die benachbarten in den frühen Nachtstunden durch den Meridian gehen und den grössten Theil der Nacht sichtbar 3'66mal so lang sei als die verticale Achse (das Stück der Scheitellinie vom Standpunkte des Beobachters bis zum Zenith). Dabei ist aber die Wölbung des Himmels ein wenig variabel, sie ist im Sommer und Herbst grösser als im Winter und Früh- jahr, bei bewölktem Wetter flacher als bei heiterem Himmel. Bei dunstigem Horizonte rückt die Mitte des Himmelsgewölbes erheblich in die Höhe, weil der horizontale Radius sich verkürzt. Erheblich höher gewölbt als bei Tag erscheint der Himmel bei Nacht. Auf diese Wirkung der Luftperspective führt Meyer die Thatsache zurück, dass Sonne und Mond immer kleiner zu werden scheinen, je höher sie am Himmel hinaufrücken. Dass 13