48 Beobachtende Astronomie. geographische Länge und Breite auf einen Meridian, welcher als »Erster« angenommen ist, und auf den Aequator. In astronomischen Werken ist unter »Länge« und »Breite« stets die astronomische gemeint, wogegen dieselben Be- zeichnungen auf Meridian und Aequator bezogen stets den Zusatz »geographische« erhalten. Bezüglich der astronomischen Länge und Breite unterscheidet man eine »heliocentrische« oder »geocentrische«, je nachdem die Sonne als Mittel- punkt des Ekliptikkreises, oder die Erde als Mittelpunkt der Bewegungen am Himmel angenommen wird. In astronomischen Werken gelten jederzeit die respectiven heliocentrischen Werthe. . . In Figur 97 ist e ein Stern, PCI die Weltachse, A FP der auf P P' senkrecht stehende Aequator. Legt man nun durch die Weltachse den Stundenkreis P em und ist 0 der Punkt des brühlings- äquinoctiums, so ist den gegebenen Definitionen gemäss 0 m die Rectascension und e m die Declination des Sternes e. Denken wir uns nun noch den Kreis der Ekliptik A 0 A', auf welchem die scheinbare Bewegung der Sonne vor sich geht, und ziehen wir die darauf senkrecht stehende Achse Q C Qx, legen wir endlich durch den Stern den Bogen des grössten Kreises Q e n, so ist 0 n die Länge und en die Breite des Sternes e. Wir haben weiter oben erwähnt, dass die Schiefe der Ekliptik kein unveränderlicher Factor ist. In kleinen Zeiträumen und ohne Anwendung scharfer Messinstrumente ist in der Stellung der Ekliptik zum Aequator eine Veränderung nicht bemerkbar. Gleichwohl ist eine solche vorhanden, und zwar in zweifacher Hinsicht: der Frühlingspunkt schreitet allmählich auf dem Ekliptik- kreise von Osten nach Westen fort und die Neigung der Ekliptik zum Aequator nimmt innerhalb bestimmter Grenzen bald zu, bald ab. Das Mass des Fortschreitens des Frühlingspunktes beträgt i° in 72 Jahren, so dass derselbe den ganzen Kreis von 360° — also einen Umlauf im Fixsternhimmel — in 26.000 Jahren vollzieht. Man nennt diesen Zeitraum das »grosse Jahr« oder das Platonische Jahr. Daraus erklärt sich, wie es kommt, dass zur Zeit die Himmelszeichen mit den betreffenden Stern- bildern nicht übereinstimmen. So steht das Himmelszeichen des Widders (Y) im Sternbilde der Fische, das Himmelszeichen des Stiers (Ö) im Sternbilde des Widders u. s. w. Die Vorrückung von einem Himmelszeichen zum nächstfolgenden findet inner- halb 2150 Jahren statt. Die zweite allmähliche Veränderung betrifft die Schiefe der Ekliptik, deren Mass durchschnittlich in einem Jahre 1 Bogen- secunde beträgt. Gegenwärtig ist die Schiefe der Ekliptik im Abnehmen begriffen; sie betrug im Jahre 1896 230, 27' und 10 /./'. Die Veränderungen bewegen sich innerhalb der Grenzen von 28° und 210. Ursache dieser Erscheinung ist die pendel- artige Schwingung der Aequatorachse — welche in einem nach Tausenden von Jahren zählenden Zeiträume vor sich geht. Zugleich rücken die Pole der Erdachse (und dement- sprechend jene der Weltachse) in einer kreisförmigen Bahn fort, und zwar conform der früher besprochenen Bewegungen und Schwankungen, so dass die Pole in je 26.000 Jahren einen LTm- 210 120 30fr 330 30 2W* 00 Fig. 100. Die Bahn der Erde um die Sonne. XNINTERSOLSTIT/üM. März. LINIE DER AEtLUINOCTIEN. Aug. Mai ’’ Tb ^OMMERSOLSinWW- ! 1 1C SOMMER. \£- V ! * • • y \ «» April Fig. 99. Die Bewegung der Erde um die Sonne. 6 Uhr im Westpunkte untergeht; um Mitternacht erreicht sie ihre untere Culmination (bei a unten). Wie ersichtlich, wird an dem genannten Tage die Sonnenbahn durch den Himmelsäquator bezeichnet und sind Tag- und Nachtbahn gleich gross. Nach dem 21. März geht die Sonne nicht mehr genau im Ostpunkte auf und im Westpunkte unter, sondern es rücken die Auf- und Untergangspunkte allmählich gegen Norden (also gegen 77() vor. Die jeweilige Entfernung der Sonne vom Ostpunkte zur Zeit des Aufganges und vom Westpunkte zur Zeit des Unterganges nennt man die Morgen weite, beziehungsweise die Abend- weite, und zwar ist sie in diesem Falle eine nördliche, weil das Vorrücken der Sonne gegen Norden erfolgt. Es findet aber zugleich eine Aenderung der Mittagshöhe der Sonne statt, indem letztere nach dem 21. März zu Mittag in immer bedeutenderer Höhe über unserem Horizonte, und Mitternachts in immer geringerer Höhe unter dem Horizont culminirt. Dieses Vorrücken der Morgen- und Abendweiten gegen Norden und das Erheben der Sonne in ihrem mittägigen Stande dauert durch 3 Monate fort. Am 21. Juni hat dieses Verhältniss seine Grenze erreicht, indem die Sonne nun um circa 23,/t° (Schiefe der Eklip- tik) höher steht, als zur Zeit des Frühlingsäqui- noctiums am 21. März. Weil aber von diesem Punkte der Ekliptik an die Sonne nicht mehr höher ansteigt, sondern sich zum Abstieg wendet, wobei sie mathematisch genommen einen Augen- blick stillsteht und wei- terab täglich eine etwas geringere Höhe erreicht, nennt man diesen Punkt den Sonnen wend e- punkt oder das S o 1- stitium. Für die nörd- liehe Halbkugel der Erde ist die Sonnenwende am 21. Juni das Sommersolstitium, jene am 22. December das Wintersolsti- tium. In ersterem Falle tritt die Sonne in das Himmelszeichen des Krebses (nicht in das Sternbild dieses Namens, wie weiter oben auseinandergesetzt wurde) und bezeichnet man aus diesem Grunde den um 2 3 ’/2° vom Aequator nördlich abstehenden Parallelkreis als Wendekreis des Krebses. Aus ähnlichem Grunde heisst der um I 231/.2° südlich vom Aequator entfernte Parallelkreis der Wende- kreis des Steinbockes. Man hat diese Kreise eigentlich auf der Himmelskugel zu denken, überträgt aber dieselben Bezeich- nungen auf die Erdkugel. Die von den Polen der Ekliptik auf vollenden. Daraus ergiebt sich die veränderliche Lage des »Polarsternes«. Zur Zeit ist es der Stern »Kynosura« im »Kleinen Bären«; in etwa 12.000Jahren aber wird der Fixstern »Wega« 1 in der »Leier« die Rolle des Polarsternes übernommen haben. Wir haben noch einige Erläuterungen zu dem scheinbaren Sonnenläufe zu geben. In Figur 98 ist 77 7/, der Horizont, 77 der Südpunkt, 77] der Nordpunkt, W der West- und 0 der Ostpunkt desselben; E ist der Standort der Erde, a a bezeichnet den Himmelsäquator. Beobachten wir die Sonne am 21. März, so finden wir, dass dieselbe genau im Ostpunkte des Horizontes aufgeht, Mittags im Meridian (bei a oben) culminirt und Abends