44 Die Photographie im Dienste der Himmelskunde Eine zweite Pflegestätte der Spectralphotographie neben Potsdam ist das Harvard College-Observatorium zu Cambridge (Mass.). Grundlegend waren hier die Schenkungen und son- stigen Zuwendungen, beziehungsweise testamentarischen Bestim- mungen Henry Draper’s, welcher nach erfolgreichen Versuchen auf diesem Gebiete im Jahre 1882 starb. Seine Instrumente, die Zinsen einer reich dotirten Stiftung, sowie nachträgliche Spenden der Witwe des Verstorbenen und des Fräuleins Bruce fielen dem genannten Observatorium zu mit der Bestimmung, das An- denken des Stifters durch umfassende spectropho- tographische Arbeiten zu ehren. Man bezeichnet diese letztere als »Henry Draper Memorial*. Die Leitung der Arbeiten ist dem Director des Obser- vatoriums, Professor E. C. Pickering, über- tragen. Hierbei ist der interessanten Thatsache zu gedenken, dass die zur Aufnahme in den Begleiter bewegen sich sonach hier Fig. 85. Spectrum von Nova Aurigae, 1891. Photographie von W. W. Campbell. »Draper-Katalog« bestimmten Spectra durchwegs von Damen classificirt, photometrisch bestimmt und verificirt werden. Im Jahre 1894 waren es acht Fräuleins: Cushman, Leland, Gill, Rugg, Stevens, Wells und Winlock, welche unter Leitung von Frau Fleming diese mühsamen Arbeiten bewerkstelligten. In dem angegebenen Jahre waren bereits 10.498 Sternspectra — selbstverständlich durchwegs Photogramme des Harvard-Obser- vatoriums — katalogisirt. Auch Entdeckungen wurden von diesen weiblichen Astro- nomen gemacht. Die eine derselben betrifft den Stern ß im »Fuhr- mann«, dessen 27 im December 1889 aufgenommene Photo- gramme eine Verdoppelung der Fraunhofer’schen Linien zeigten. Es wurde festgestellt, dass die Verdoppelung alle zwei Jahre ihr Maximum erreicht und in der Mitte zwischen diesen Terminen verschwindet. Es war ohne weiteres klar, dass es sich um eine ähnliche Erscheinung wie bei »Spica« und »Algol« handelte. Die von Pickering gemachten Berechnungen ergaben eine Um- laufszeit des Sternes um den gemeinsamen Mittelpunkt mit dem unsichtbaren Begleiter von nicht ganz 4 Tagen. Professor Vogel, der hierauf den Stern gleichfalls untersuchte, fand dieselbe Um- laufszeit. Die Photogramme des Spectrums von ß Aurigae, sowie jene von 0 Ceti— d. i. »Mira« im »Walfisch« — sind auf einem Kartenblatte des Atlas reproducirt. Eine zweite Entdeckung seitens einer der am Harvard- Observatorium beschäftigten Damen bezieht sich auf einen so- genannten »Neuen Stern« (NovaNormae), der am 26. October 1893 auf einem am 10. Juli desselben Jahres zu Arequipa — Filial- Sternwarte des Harvard College — aufgenommenen Spectral- photogramme von Frau Fleming im Sternbilde des »Lineal« und »Winkelmasses« entdeckt wurde. Im Sternhaufen »47 Ta- canae* fanden Professor Bailey und Frau Fleming auf den Platten 6 veränderliche Sterne, und wurde ihre Veränderlichkeit dadurch bestätigt, dass sie auf älteren Photogrammen andere Helligkeitsverhältnisse zeigten. Von Frau Fleming wurden im Jahre 1894 auf Photogrammen weitere veränderliche Sterne in den Sternbildern »Wassermann«, »Sculptor«, »Schlangenträger«, »Scorpion« und »Adler« entdeckt und wurde die Periode der Sterne in den drei letztgenannten Sternbildern auf 366, beziehungsweise 278 und 365 Tage bestimmt. Einen der von Anderson (Edinburg) entdeckten veränderlichen Sterne in der Andromeda konnte Pickering auf den Platten verificiren. Er bestimmte die Periode dieses Sternes zu 281 Tagen, seine Licht- Schwankung zwischen den Grenzen 9’0 und 13’0... Auf der Cap- Sternwarte fand Woods, dass einer der merkwürdigsten unter den veränderlichen Sternen (in der »Argo«, AR = 2h 28m 30’6% Dc.=— 440 39’3') auf den photographischen Platten in rascher Folge alle Helligkeitsgrade zwischen 7’5 und 9’5 zeigt. Aus den hierauf durch Gill bewerkstelligten visuellen Beobachtungen ergab sich, dass die Lichtschwankungen in der unglaublich kurzen Zeit von 5 Stunden und 22 Minuten sich vollziehen. Stern und dunkler mit einer rasenden Ge- schwindigkeit um den gemeinsamen Schwer- punkt, so dass angenom- men werden muss, dass sich beide Körper fast berühren — eine Erschei- nung, die ohne Beispiel im Weltsystem ist... Die spectralphotographi- schen Aufnahmen in Cambridge (Mass) werden in der Weise bewerkstelligt, dass vor die 8zöllige Porträtlinse des Dra- per’schen Refractors ein grosses Prisma mit einem brechenden Winkel von 13° gesetzt wird. Die Bilder entstehen in der Focalebene des Objectivs und werden hier direct von der eingeschobenen Trockenplatte fixirt. Um nicht eine einfache Linie, sondern ein entsprechend breites Band zu erhalten, wird das Uhrwerk des Fernrohres derart regulirt, dass letzteres in seinem Gange zu der scheinbaren Bewegung der Gestirne etwas retardirt. Eine noch grössere Verbreiterung des Spectrums lässt sich dadurch erreichen, dass man dasselbe ! photographisch vergrössert, wobei eine sinnreiche Vorrichtung in Anwendung kommt. Mittelst derselben wird das Original senkrecht zur Längenausdehnung des Spectrums — also übereinstimmend mit der Richtung der Fraunhofer’schen Linien — auf- und niederbewegt, wobei es in jeder Stellung gleich lange ver- weilt. Diese Vergrösserungsmethode wird sowohl in Potsdam als in Cambridge angewendet. Das grosse Gesichtsfeld des Draper’schen Refractors (100 Quadrat- grade) zu Cambridge gestattet übrigens, ganze Sterngruppen spectrophotogra- 1 phisch aufzunehmen. Was sonst noch auf dem Gebiete der Spectralphotographie in den letzten Jahren geleistet worden ist (sowie über die spectro- skopische Untersuchung der Himmelskörper überhaupt) wird in einem besonderen Abschnitte dieses Werkes behandelt werden. Hier nur noch einige bemerkenswerthe Andeutungen. . . Des- lambres (Paris) begann im Jahre 1891 die Protuberanzen der Sonne regelmässig zu photographiren; er bedient sich hierbei eines rotirenden Spectroskops, welches rasch hintereinander auf die verschiedenen Punkte der Sonnenperipherie eingestellt werden kann. Die Expositionsdauer beträgt 2 Secunden. Wie schon an anderer Stelle (Seite 30) erwähnt, bediente sich die am Senegal zur Beobachtung der Sonnenfinsterniss am 16. April 1893 etablirt gewesene französische Expedition eines sinnreichen Apparates, mittelst welchem es möglich war, auf spectrophotographischem Wege die Rotation der Corona festzustellen... In den letzten Jahren hat vornehmlich der mehrgenannte Stern -»Nova Aurigae 1892* die Spectralphotographen in leb- hafte Bewegung gesetzt. Vogel, Huggins, Campbell, v. Got- hard, Belopolsky u. A. haben eifrig nach dieser Richtung ge- arbeitet. Dass solche Arbeiten, wenn sie einer vergleichenden Prüfung unterzogen werden, mitunter Widersprüche ergeben, ist nicht zu vermeiden. Hierfür ein Beispiel. Im Spectrum von »Nova Aurigae* erhielt Belopolsky am 3ozölligen Refractor zu Pulkowa die Wasserstofflinie dreifach. Vogel war nicht ge- willt, diese Wahrnehmung zu verificiren und führte sie auf Ver- änderungen im Fernrohr während der Exposition zurück. Während Belopolsky in demselben Spectrum keine Eisenlinien vorfand, hat Vogel 6—7, Campbell vollends 10 Eisenlinien constatirt. Aehnliche Beispiele giebt es in Menge und nur fortgesetzte Untersuchungen können über die Reellität solcher Erscheinungen Klarheit verschaffen.