Die Photo-Selenographie. 37 Daraus ergiebt sich der nicht zu unterschätzende Werth der hier zuerst von Professor Wein ek in Anwendung gebrachten Methode vom rein graphisch-künstlerischen Standpunkte. Es tritt aber auch der wissenschaftliche Werth dieser Darstellungsweise in bemerkenswerthem Grade hervor. An der Hand der Tuschi- rungen, denen ja die photographische Aufnahme — also gewisser- massen ein Document ohne subjective Nebenbeeinflussung — zu Grunde lag, konnte der Urheber dieser Darstellungen die im allge- meinen Gebrauche stehenden Mondkarten von Loh r m an n, M äd 1 e r, Neison und Schmidt auf ihre Richtigkeit prüfen, die kleinen und kleinsten Einzelheiten verificiren, beziehungsweise das Fehlen manches, mitunter sehr auffälligen Details selbst auf der so vor- züglichen Schmidt’schen Karte constatiren. Man muss in die Einzelheiten dieser Untersuchungen eindringen, um die Bedeutung der Methode schätzen zu lernen, was freilich im Rahmen dieser Schrift nicht möglich ist. Dem Fachmanne ist das Alles wohl- bekannt, für den Laien ist es irrelevant, wenn ihm nur das Thatsächliche im Grossen und Ganzen vor Augen ge- führt wird. Gleichwohl darf in Aner- kennung der durch die Pho- tographie gelieferten Grund- lage zu dieser Darstellungs- weise jene nicht als das Non plus ultra des Erreichbaren angesehen werden. Es ist in- teressant zu hören, was Profes- sor Weinek bezüglich einer Vergleichung seiner Tuschi- rung'en mit dem optischen Anblick (durch den özölligen Steinheil’schen Refractor der Prager Sternwarte) sagt. Es wurde zweimal beobachtet. »Obwohl beide Male die Luft ziemlich unruhig und wenig durchsichtig war und inso- ferne nur die Anwendung einer 15 ^fachen Vergrösserung zu- liess, konnte ich doch consta- tiren, dass die Photographie nicht alles Gesehene darge- stellt hat. Auf ihr sind bei- spielsweise klare und leicht sichtbare Terrassenzeichnun- gen auf hell beleuchtetem Walle ganz verloren gegan- gen, während in dunkel nuan- cirten Partien reichliches und ebenso leicht erkennbares De- tail fast vollständig fehlt. Auch die Grenzlinie der hellen Kämme und ihres Schatten- wurfes erschien stellenweise nicht ganz correct, indem helle Einschnitte in den dunk- len Schatten oder dunkle Schattenformen auf hellem I \ h üb' V BW 'N: Fig. 74. Mare Crisium. Tuschirung von L. Weinek nach dem Lick-Negative vom 23. August 1888. Vergrösserung = 4fach. Aufgewendete Arbeitszeit: 343/< Stunden. Grunde sich im Vergleich zur optischen Wahrnehmung völlig abgestumpft und abgerundet zeigten. Man vermag dies nur zu erklären, wenn man annimmt, dass für die gewählte mitt- lere Expositionsdauer der Aufnahme, welche das beste Durch- schnittsbild liefert, die hellen Archimedeswälle überexponirt und derart die dunklen Terrassenlinien derselben in Folge der Wirkungsweise der Diffraction und etwaiger Reflexe an der rückwärtigen Plattenseite vom Lichte der Umgebung überdeckt worden sind (man vergleiche die photographische Abbildung eines schmalen Blitzableiters auf hellem Wolkengrunde, welche bei Ueberschreitung einer gewissen Expositionsdauer im Bilde ganz verschwindet), andererseits, dass die im Halbschatten liegenden Wallpartien eine Unterexposition erfahren haben.« Wenn man das bisher Gesagte überblickt, wird man die an einleitender Stelle über die Photographie des Mondes ange- brachte Bemerkung bestätigt finden, nämlich dass Photographie und Ocularbeobachtung sich gegenseitig vortrefflich zu unter- stützen vermögen; denn während einerseits — wie wir gesehen haben — die photographische Platte Einzelheiten fixirt, welche in keiner der vorhandenen Mondkarten eingezeichnet oder falsch dargestellt sind, tritt andererseits unter gewissen Voraussetzungen das Umgekehrte ein, d. h. das bewaffnete Auge ist der Platte überlegen. Je mehr also die photographische Technik sich ver- vollkommnet, desto werthvoller wird sie für den Selenographen, der das auf der Platte Fehlende durch die Ocularbeobachtung ergänzen kann, das auf der Platte als neu in die Erscheinung tretende Detail aber als eine Zugabe in der Vervollkommnung unserer Kenntniss des lunaren Reliefs von nicht zu unter- schätzendem Werthe begrüssen wird. Von der Entwickelung der photographischen Technik, d. h. von der Erhöhung der Licht- empfindlichkeit der Platten und dem erzielbaren feinsten Korne der Emulsion abgesehen, hängt der Erfolg vornehmlich von der Methode bei der Aufnahme ab. Es ist nämlich ohne weiteres klar, dass eine Aufnahme eines und desselben lunaren Objectes nicht ausreicht, son- dern dass zur Gewinnung erspriesslicher Resultate meh- rere Aufnahmen unter ver- schiedenen Beleuchtungsver- hältnissen nothwendig sind und dass die Expositionsdauer eine verschiedene sein muss, indem das Augenmerk sich bald auf die helleren, bald auf die dunkleren Partien zu richten haben wird. Es ge- nügt schon eine Betrachtung der Einzelheiten auf den Ab- bildungen von Archimedes und Arzachel, um zu er- kennen, dass sie bei wech- selnder Beleuchtung ein sehr verschiedenes Aussehen er- halten, ja, dass ganz kleine Details in der einen Darstel- lung sehr gut wahrnehmbar, in der anderen dagegen un- kenntlich werden oder völlig verschwinden. Nach diesen ersten viel- versprechenden Versuchen im Zeichnen von lunaren Ob- jecten nach photographischen Aufnahmen mit Zugrundele- gung einer mässigen Ver- grösserung erwies sich die Erwägung, zu ausgiebigeren Vergrösserungen zu schreiten, umso verlockender, als das fortgesetzt sich vermehrende Plattenmaterial des Lick-Ob- servatoriums Versuche nach dieser Richtung geradezu her- ausforderte. Es war klar, dass in diesem Falle das Detail viel kräftiger behandelt werden konnte, die zeichnende und malende Hand sich aus der Beengtheit einer fast an Miniaturmalerei gleichenden Arbeit befreien würde. So schritt Professor Weinek zu einer 2ofachen Vergrösserung und wurden zu dieser Arbeit drei sehr charak- teristische und durch besonders günstige Plastik ausgezeich- nete Objecte am Westrande des Mondes auserwählt. Diese Lage hatte auch noch den Vortheil für sich, dass den be- treffenden Objecten — den Ringgebirgen und Wallebenen Petavius, Langrenus und Vendelinus — eine gewisse per- spectivische Wirkung zu Gute kommt. Zur Ausführung der Ver- grösserungen diente ein vorzügliches achromatisches Mikrometer- ocular von Rheinfelder & Hertel in München, das bei einer Aequivalentbrennweite von 13’53 Millimeter — die deutliche Sehweite des Zeichners zu 28 Centimeter angenommen — eine 21 "fache Linearvergrösserung ergab. Da nun die photographische Brennweite des Lickrefractors 14’483 Meter beträgt, ergiebt obiges Vergrösserungsmass eine loyofache Gesammtvergrösserung des Mondes. Eine 2ofache Vergrösserung der Lickplatten entspricht sonach einem Mondbilde von 2’8 Meter Durchmesser, der also IO