36 Die Photographie im Dienste der Himmelskunde. Trockenmalen erfordert. Ausserdem trat der allen photographi- schen Papieren anhaftende Uebelstand des Vergilbens, in folge des chemischen Processes, den das Papier durchzumachen hat, hervor. Professor Weinek war daher darauf bedacht, tadelloses, weisses Papier in Verwendung zu nehmen. Da dasselbe nicht chemisch präparirt war, sonach eine vergrösserte Uebertragung des Originales nicht anging, musste zu der weiter oben er- wähnten zweiten Methode gegriffen werden, der völligen zeich- nerischen Neuherstellung des Bildes. Zu diesem Ende wurde das bekannte Verfahren gewählt, das Original mit einem Strichnetze zu überziehen, dieses, beliebig vergrössert, auf das Papier zu übertragen und sodann innerhalb eines kleinsten Quadrates (oder Rechteckes) das Gesehene nach seinem Verhältniss einzutragen... »Je stärker die Vergrösserung genommen wird — berichtet Pro- fessor Weinek — desto enger ist natürlich das Strichnetz auf dem Ori- ginale zu ziehen, sobald man volle Gewähr für die Richtigkeit der Ver- grösserung in allen Thei- len verlangt. Da es selbst- verständlich nicht an- ging, auf dem Glaspo- sitive ein Liniennetz zu verzeichnen, so wurden zunächst Versuche mit Pauspapieren gemacht, welche ein Millimeter- netz trugen; doch zeigte sich auch die beste Sorte desselben für den beab- sichtigten Zweck nicht durchsichtig genug. Es blieb deshalb nur übrig, eine planparallele Glas- platte, welche füglich auf einen schmalen Streifen reducirt werden konnte, mit einer Qua- dratmillimetertheilung zu versehen, diese mit der Strichseite auf das Original zu pressen und sodann die Zeichnung innerhalb des ver- grösserten Netzes zu entwerfen.« Mit Hilfe dieser, vom Präcisionsmecha- niker G. H e y d e in Dres- den gelieferten Glasscala bewerkstelligte Profes- sor Weinek zunächst die Tuschzeichnungen von Archimedes und Fig. 73. L. Weinek’s Vorrichtung zur Darstellung von Mondlandschaften durch Handzeichnung nach photographischen Diapositiven. Arzachel nach den Lickaufnahmen vom 25., beziehungsweise 27. Au- gust 1888, und zwar jedes der beiden Objecte — conform der be- treffenden Lunation — sowohl mit dem Schattenwurfe nach Osten als nach Westen. Die Vergrösserung beider Objecte (in 4 Dar- stellungen) ist eine lofache, die aufgewendete Zeit schwankte für jede Darstellung zwischen 423/4 und 49 V2 Arbeitsstunden. Die Reproductionen (Fig. 75), welche nach Heliogravüren (also nicht nach den Originalen) hergestellt wurden, geben nur annähernd die Schönheit und peinliche Sorgfalt in der Aus- führung wieder und lassen vornehmlich die verblüffende Menge feinster Einzelheiten vermissen, welche die Originale auszeichnen. Wir haben den Uebelstand, welcher jedem mechanischen Re- productionsverfahren anhaftet, schon früher einmal hervorgehoben, doch erschien es nothwendig, darauf nochmals hinzuweisen, damit Derjenige, der beigefügte Darstellungen einer Betrachtung unter- zieht, sein Urtheil modificiren könne. Bezüglich der Detailausführung der fraglichen Objecte ist aus dem Be- richte des Professors Weinek Folgendes zu entnehmen. Nachdem die Quadrat- millimeterglasscala mit der Strichseite auf die Schichtseite des Diapositives mittelst zweier starker Federn gepresst war, wurde das letztere, beziehungsweise das betreffende Object, bei aiyfacher Linearvergrösserung betrachtet »Alsdann wurde auf bestem Zeichenpapiere das vergrösserte Netz mit Quadraten, deren Länge und Breite je io Millimeter betrug, in schwachen Linien entworfen und inner- halb desselben die Arbeit, zunächst mit Bleistift, begonnen. Erst nachdem die- selbe in den Contouren und in der Schattirung, welch letztere natürlich nicht zu kräftig sein durfte, fertiggestellt war, wurde die Scala vom Diapositive ent- fernt und hierauf die Zeichnung mit Tusche, beziehungsweise gummirter schwarzer Farbe, bis zur höchsten Vollendung gedeckt. Um an dieselbe die letzte Feile anzulegen, wurde zum Schlüsse die 22fache Vergrösserung durch die 8fache ersetzt und die Kraft und das Leuchten des Diapositives unter dieser schwächeren Vergrösserung auf das Bild übertragen.« Betrachtet man diese Darstellungen — z. B. Archimedes — so ergiebt der einfache Augenschein, dass die Ringebene in dem einen Bilde (mit dem Schattenwurfe nach Osten) etwas grösser ist als in dem zweiten Bilde (mit dem Schattenwurfe nach Westen). Dadurch könnte bei dem Uneingeweihten die Vor- stellung Raum gewinnen, dass hier ein zeichnerisches Gebrechen vorliege. Ob- wohl dies selbstverständlich ganz ausgeschlossen ist, erscheint es gleichwohl nothwendig, diesen Sachverhalt zu berühren, denn ein aufmerksam beobachtender Laie sucht für jede befrem- dende Wahrnehmung, die er macht, eine Erklärung. In dem vorliegenden Falle ergiebt sich dieselbe aus folgenden Um- ständen. Die Platte vom 15. August, welcher die Ar- chimedesdarstellung mit dem Schattenwurfe nach rechts entnommen ist, wurde knapp nach dem Mondperigäum auf- genommen, die Platte vom 27. August (Schattenwurf nach links) hingegen knapp vor dem Mondapogäum. Daher die Differenz zwischen den beiden Durchmessern der Ringebene von 10'3 Millimeter (130-0—119 7 Millimeter) zu Gunsten der ersteren Dar- stellung. Ferner ist die Li- brationswirkung in Betracht zu ziehen, und zwar, weil das fragliche Object sich nahe am lunaren Centralmeridian befindet, die Libration in Breite. Bei der Aufnahme vom 15. August befand sich der Mondmittelpunkt 4" über der Ekliptik, bei der Auf- nahme vom 27. August 5° unter der Ekliptik, woraus folgt, dass in der ersteren Darstellung mehr von den südlichen Partien des Objectes, in der zweiten Darstellung mehr von den nördlichen Par- tien desselben zu sehen sein muss. Es entstehen demnach auf jenem Bilde in der Meri- dianrichtung perspectivische Verkürzungen, auf dem zwei- ten Bilde hingegen perspecti- vische Verlängerungen im Sinne der mittleren geocentri- schen Breitenlibration (Mond- mittelpunkt in der Ekliptik). Es erschien uns sachlich wichtig und zugleich anziehend im Sinne der exacten Aus- führung dieser Mond- zeichnungen, in den vor- stehend geschilderten Sachverhalt etwas mehr einzugehen. Das Gesagte bezieht sich selbstverständlich auch auf die beiden Dar- stellungen von Arzachel, die wahrnehmbar in ihrer äusseren Erscheinung noch mehr von einander abweichen, als es bei Archimedes der Fall ist. Vor Allem aber erkennt man an diesen Zeichnungen den grossen Fortschritt in der topographischen Wiedergabe von Mondobjecten gegenüber allen vorangegangenen Darstellungsweisen. Hier sind die Einzelheiten des Mondreliefs nicht, wie auf den vorhandenen Karten, auseinander gerissen, ohne Zusammenhang innerhalb eines Complexes von kleinen und kleinsten Objecten, sondern geschlossen, ineinander übergehend, wie es die natürlichen Verhältnisse, beziehungsweise die Wieder- gabe plastischer Objecte erfordert. Nichts von den regenwurm- artigen Gebirgszügen, zersplitterten Schraffengruppen und der losen Aneinanderreihung conventioneller Zeichen und dem Mangel jedes Ueberganges in der Plastik des Ganzen. Wollte man die Tuschirung in Schraffirung umsetzen, so ergäbe dies eine karto- graphische Darstellung, welche vollkommen adäquat derjenigen von irdischen Bodenreliefs wäre.