Die Photographie im Dienste der Himmelskunde. Was würde Bessel heute sagen, wenn er die Erfolge der Astrophysik kennen, wenn er beispielsweise das schöne Institut in Pots- dam sehen, die Leistungen des Harvard College Observatory zu Cambridge bei Boston be- urtheilen, die Forschungen der Astrophysiker von derBedeutung eines Zöllner, H. C. Vogel, Scheiner, J. E. Keeler, W. W. Campbell u. s. w. zu Gesichte bekommen würde? Von Bessel wird behauptet, dass er sich für die physische Beschaffenheit der Weltkörper nicht im Mindesten interessirte, und dass er cs höchstens für eine angenehme Belustigung des Geistes hielt, sich in eine Welt ausserhalb der Erde hinüber zu phantasiren und darüber naohzudenken, wie die Natur wohl auf dem Monde oder Planeten aussehen möge. Be- zeichnend hierfür ist, dass Bessel eine Ab- handlung »Ueber die physische Beschaffenheit des Halley’schen Kometen« schrieb, in wel- cher, entgegen der Ueberschrift, ausschliesslich von den Bewegungserscheinungen im Inneren des Kometen und in dessen Schweife die Fig. 3. Photographie der totalen Sonnen- finsterniss am 12. December 1871. Was ist nun die Folge hiervon? Da die Photographie vor der visuellen Beobachtung den höchst schätzenswerthen Vortheil darbietet, dass man die Lichtwirkung durch entspre- chende Verlängerung der Exposition bis zur äussersten Ausnützung der Empfindlichkeit der Platten ausnützen kann, treten auf diesen letzteren coelestische Objecte in die Er- scheinung, welche in keinem Fernrohre der Welt sichtbar sind, also niemals von einem menschlichen Auge gesehen worden sind und sich der Mehrheit nach auch in Zukunft der visuellen Beobachtung entziehen werden. Darin liegt — von dem wissenschaftlichen Werthe der Methode vorläufig abgesehen — die schier fascinirende Wirkung der Himmels- photographie. Wo die bisher benützten besten Sternkarten fast sternenleere Stellen aufweisen, zaubert die Platte auf dieselben ein wundersames Gewimmel kleiner und kleinster Sterne, zum Theil auf nebeligen Schleiern pro- jicirt, welch letztere in Sternhaufen aufzulösen bisher weder den schärfsten Linsen, noch den Rede ist. Wenn auch der Standpunkt Bessel’s im Grossen und Ganzen auch heute noch der richtige ist und in aller Zukunft bleiben wird, hat durch die Astrophysik — ganz abgesehen von ihrem empfindlichsten Platten gelungen ist. Ein zweiter Vortheil der photographischen Methode ist, dass die Stellung der Sterne zu einander absolut richtig wiedergegeben ist, wodurch die Abmessungen der Distanzen ebenso genau ausgeführt werden hohen wissenschaftlichen Werthe — die Himmelskunde eine Ver- allgemeinerung erfahren, die man noch vor wenigen Jahren nicht zu ahnen gewagt hätte. Die alten Tempel Uranias, die Stern- warten nach herkömmlicher Or- ganisation, waren dem Liebhaber der Himmelskunde unnahbar. Die exacte Astronomie, die höhere Mathematik und Alles, was da- mit zusammenhängt, lagen dem Laien ferne. . . Da standen sie, in den dunklen Nachthimmel hineinragend, die hohen Dom- kuppeln, unter welchen das Räder- werk der Refractoren und das Denkergehirn der Rechner emsig und still arbeiteten. Der Geist forschte nach den umwandelbaren Süd. Fig. 4. Aufnahme von Rutherfurd vom 14. November 1864. (Nach Diapositiven im Besitze Gesetzen, und die schweigsame Sphinx des unendlichen Welt- raumes gab das eine oder das andere ihrer Geheimnisse preis. Von diesen sacrosancten Stätten der »erhabensten aller Wissen- können, wie mit Hilfe der zuver- lässigsten visuellen Beobachtung. Es ist einleuchtend, dass eine sol- che Abmessung, welche bequem am Arbeitstische ausgeführt wer- den kann,einegrosseErleichterung ist und erheblichen Zeitgewinn mit sich bringt, letzteres schon deshalb, weil die Messungen am l äge bewerkstelligt und die Nächte demgemäss besser aus- genützt werden können. Da der vorliegende Atlas, wie schon auf seinem Titelblatte declarirt ist, vorwiegend auf den Ergebnissen der Himmels- photographie fusst, empfiehlt es sich, den Begleittext mit diesem Thema zu beginnen und damit gewissermassen die Grundlage zur Beurtheilung des dargebotenen Kartenmateriales zu liefern. Ein kurzer geschichtlicher Rückblick über diesen Gegenstand soll uns zu der in der Jetztzeit in umfassender Weise und mit den be- Süd. Fig. 5. Aufnahme von Draper vom 29. August 1880. der k. k. Sternwarte in Prag ) schäften« war der Nicht-Astronom das erlösende Wort von der Astrophysik, und zwar vornehmlich von einem ihrer modernsten Hilfsmittel — der Photo- graphie. Sie hat die Himmelskunde mit einem Schlage zu einem der populärsten Zweige der Naturwissenschaften gemacht. Ihre Leistungen setzen zunächst auch den Laien in den Stand, sich von den Dingen eine greifbare Vorstellung zu machen, welche von den Astronomen gesehen und beobachtet werden. Die Photographie ging aber noch um einen Schritt weiter, indem sie gegenüber dem teleskopischen Sehen einen beachtenswerthen Vorsprung hatte. Die Netzhaut des Auges bildet sich nämlich ihr Urtheil über die Hellig- keit eines Gegenstandes nach der In- tensität des Lichtes, während die photographische Platte die Menge des Lichtes festhält. Mit anderen Worten: lichtschwache Objecte können so lange exponirt werden, bis die gewünschte ausgeschlossen. . . Da kam Süd. Fig. 6. Copie nach dem Originalnegative Draper’s vom 3. September 1863. (Im Besitze der k. k. Sternwarte in Prag.) achtenswerthesten Erfolgen ausgeübten photographischen Methode in der Himmelskunde hinüberleiten. Die Erfindung von Daguerre und Niepce war kaum in die Welt getreten, als auch schon Versuche angestellt wur- den, das Bild des blondes nach diesem Verfahren zu fixiren. Den ersten Versuch stellte Daguerre selber an und Arago versäumte nicht, in der Akademie auf das gewonnene Resultat hinzuweisen. Er sagte: »Die Platte, wie sie Herr Daguerre präparirt, ist gegen die Ein- wirkung des Lichtes empfindlicher als alles früher Bekannte. Bisher haben die Mondstrahlen, selbst wenn sie sich im Brennpunkte der grössten Linse oder des grössten Hohlspiegels vereinigten, keinerlei nachweisbare physikalische Wirkung ausgeübt; aber die nach Daguerre’s Verfahren bereiteten Plat- ten bleichen unter Einwirkung dieser Strahlen und der nachfolgenden Ope- rationen derart, dass die Hoffnung be- Wirkung erzielt ist. Man erhält alsdann von einem sehr licht- schwachen Objecte ein ganz helles Bild, obwohl die Empfänglichkeit der Platte geringer ist als die der Netzhaut; denn ein Stern, von dem beispielsweise die Netzhaut in zwei Secunden einen Licht- ein druck erhält, wird innerhalb derselben Zeit auf der photo- graphischen Platte noch keine Spur von Lichtwirkung zurücklassen. gründet erscheint, man werde einst photographische Karten unseres Satelliten herzustellen vermögen, das heisst, man werde im Laufe weniger Minuten eine der langwierigsten, mühsamsten und schwierigsten Arbeiten in der Astronomie ausführen können.« DassD a g u e r r e’sMondphotographien dennoch unbefriedigend ausfielen, erklärt sich daraus, dass die Exposition mehrere Minuten