£ C * - Fig. i. Das Yerkes-Obsenatoiium am Lake Geneva, Wisconsin (Nord-Amerika). WB" * r II ' HÄ- W«! ■■i ■ I ERSTER ABSCHNITT. Die Photographie im Dienste der Himmelskunde. ine alte Erfahrung lehrt, dass der Laie daran gewöhnt ist, die wunderbaren Erscheinungen des Sternenhimmels, deren unwandelbare Gesetzmässigkeit in Bezug auf die Be- wegungsvorgänge und das ganze grossartige Getriebe in Entfernungen, die sich seinen eingelebten Vorstellungen nur schwer an- passen lassen, als eine Gabe hinzunehmen, welche ihm die Astronomen in den Schoss legen. Wohl findet man gebildete Laien, denen die Fähigkeit innewohnt, sich in die gewaltige Denkarbeit einzuleben, die von den Leuchten der astronomischen Wissen- schaft durchgeführt worden ist: aber der Mangel an unmittelbarer Betheiligung an diesem Forscherwerke, die Unmöglichkeit, das todte Wissen in lebendige Geistesarbeit mit Hilfe instrumentaler Untersuchungen umzusetzen, gestaltet das Laienwissen zum passiven — Glauben. Es fehlt das innere Erkennen, die auf Selbsturtheil fussende Ueberzeugung, welche aus der völligen Vertrautheit mit den hier in Frage kommenden Dingen entspringt. Im Anblicke der unermesslichen Sternensaat, deren lichtzuckendes Ge- wimmel so sehr der inneren Erregung des nach Naturerkenntniss Strebenden ent- spricht, erhebt sich der Mensch über den Wandel der Dinge, deren Zeuge er ist, zu der verblüffenden Grösse umwandelbarer Gesetze. Ein einziger Augen- aufschlag ist die Brücke vom Endlichen zum Unendlichen. Aber wer im Denken nicht disciplinirt ist, den führt die Einbildungskraft auf Abwege. Seine mühsam errungene Erkenntniss wird zur Phantasmagorie, die starren Welten in der Un- endlichkeit sinken zum Spielzeug dichterischer Eingebungen herab. . . Die Be- wunderung des Sternenhimmels ist also zunächst ein Bedürfniss des Gefühls > dieses aber ist die Quelle des Denkens. Vauvenargues sagt: »Les gründen pennees riennent du coeur« und Seneca: »Cogitatio nostra coeli munimenta perrumpit nee contenta ent, id, quod ostenditur scire« (Unsere Gedanken brechen durch die Festen des Himmels, unbefriedigt, nur das zu wissen, was sichtbar ist). Nun ist es klar, dass das rein sachliche Denken auf Seite des Freundes der Himmelskunde eine viel zu abstracte Geistesthätigkeit ist; sie ist zugleich das gefährliche Fahrwasser nach dem Ocean unfruchtbarer Speculationen. Das beste Regulativ hierfür ist die Beobachtung, zu deren Unterstützung instrumentale und graphische Hilfsmittel dienen. Aber die Fachmänner strengster Observanz anerkennen derlei nicht als das Wesen der astronomischen Wissenschaft. Wie in allen Wissenschaften, hat nämlich auch in der Himmelskunde in jüngster Zeit eine weitgehende Decentralisation, d. h. eine Auszweigung in Specialfächer, Platz gegriffen. Die Richtung war schon von früherher vorgezeichnet durch die Zweitheilung der astronomischen Wissenschaft in eine rechnende und in eine beobachtende, welche beide Zweige sich gegeneinander etwa so ver- halten, wie die exacten Naturwissenschaften zu den beschreibenden. Aus der letzteren Richtung entwickelte sich das weite Gebiet der Astrophysik, welche von den Ausübern der theoretischen Astronomie von Anbeginn her als der letzteren nicht ebenbürtig erklärt wurde. Dieselbe hat sich indess mehr und mehr ausgestaltet und bildet nun ein wichtiges Glied in der Reihe der wissen schaftlichen Hilfsmittel zur Erforschung der kosmischen Erscheinungen. Da gewisse Zweige der Astrophysik die theoretische Mathematik entbehrlich machen, konnten sich denselben neben den Berufs-Astronomen auch viele gebildete Laien zuwenden, vornehmlich dann, wenn sie die Mittel besassen, sich mit den hierzu nothwendigen Instrumentarien zu versehen. So entstanden im Laufe der Zeit in allen Ländern Privatsternwarten, deren Eigenthümer vielfach fördernd in die wissenschaftliche Ausgestaltung der Astrophysik eingriffen. Wie sich noch in halbvergangtner Zeit die theoretische Astronomie zur beobachtenden (und demgemäss auch zur Astrophysik) stellte, erkennt man am besten aus der nachstehenden Auseinandersetzung, welche der berühmte Bessel einst an seine Zuhörerschaft an der Universität zu Königsberg richtete: »Sie wissen — sagte der grosse Rechner — welche Aufgabe die Astronomie zu lösen hat; die Orte am Himmel soll sie angeben, wo Sonne, Mond, Planeten, Kometen und Sterne gestanden haben, stehen und stehen werden. So lange nothwendig ist, jedesmal am Himmel nachzusehen, um zu erfahren, wo einer dieser Körper sich befindet, so lange ist keine Astronomie vorhanden. Die Astro- logen waren keine Rechner; wenn sie waren, wie die Dichter sie zeichnen, dann mussten sie am Vorabende eines wichtigen Ereignisses ihre Warte besteigen, um die Zukunft ihrer Helden zu erfahren. Wären sie Astronomen gewesen, so hätten sie, ohne nach den Sternen zu sehen, ihre Stellungen gekannt; sie hätten sie nicht nur für diese Zeit gekannt, sondern für alle Zeiten, für die ganze Lebens- dauer ihrer Helden. »Aber auch in unserer prosaischen Welt kommt es vor, dass das Beob- achten der Gestirne als Beweis astronomischer Kenntniss angesehen wird, während es doch klar ist, dass die Astronomie, je vollkommener sie ihre Auf- gabe löst, desto freier von dem Beobachter werden muss. — Dennoch, je mehr von grosser Vollkommenheit der Astronomie geredet wird, desto eifriger sehen wir die Astronomen sich mit ihren Instrumenten beschäftigen! Die Astronomen müssen offenbar nicht an jene grosse Vollkommenheit glauben, und doch sind sie es gerade, welche davon reden. Ich werde diesen Widerspruch aufzuklären versuchen. Ich muss Ihnen aber vorher sagen, dass der Weg, der uns dahin führen wird, ein langer ist, selbst wenn jede Krümmung auf das Sorgfältigste vermieden wird. Dass ein sehr grosserZwischenraum zwischen den astronomischen Beobachtungen und der Astronomie, d. h. der Kenntniss der Bewegungen der Gestirne, liegt, werde ich leicht anschaulich machen können. Setzen Sie sich nur in den Fall, durch gute Augen und instrumentale Hilfsmittel in den Stand gesetzt zu sein, die Richtung, in welcher ein Gestirn in diesem Augenblicke erscheint, richtig auffassen zu können, also eine astronomische Beobachtung — die nichts Anderes ist, als diese Auffassung — machen zu können; machen Sie diese Beobachtung zu hundert verschiedenen Zeiten, dann haben Sie hundert Richtungen, in welchen das Gestirn nach und nach erschienen ist; aber werden Sie dadurch wissen, in welcher Richtung es zu jeder späteren Zeit erscheinen wird oder zu jeder früheren erschienen ist? Gewiss nicht! Die hundert Richtungen nach dem Gestirne bleiben so lange isolirte Thatsachen ohne alle Consequenz, bis es dem Verstände gelungen sein wird, eine Verbindung zwischen ihnen und dem Vorangegangenen und Folgenden aufzufinden. Die Beobachtungen machen also nicht die Astronomie, sondern der Verstand macht sie; die ersteren ent- halten an sich selbst kein Atom davon, aber sie sind das Material, woraus der Verstand die Astronomie zusammensetzen kann. Erlauben Sie mir, an ein frei- lich stark verbrauchtes Gleichniss von Bausteinen und einem Gebäude zu erinnern, sind sie nicht fest, so erhält es keine Dauer; sie mögen aber so fest und gut behauen sein, als man will, so ist erstlich gar nicht nothwendig. dass sie zu einem Gebäude zusammengefügt werden, und zweitens, wenn auch dieses geschieht, kann ebensowohl die Kuppel von St. Peter als eine Dorfkirche daraus gemacht werden.« I